Dieses Blog durchsuchen

Sonntag, 20. Februar 2011

Das Gewicht der Welt

Es war verschiedentlich zu lesen, daß eine neue "Macht" aufgetaucht sei - die Macht der "Facebook-Generation". Die sei es, die nun in der arabischen Welt (und wer weiß wo sonst noch) die Systeme wanken mache. Eine neue Macht, die niemand vorhergesehen habe.

Darf man dreimal laut auflachen? Es ist keinesweg eine neue Macht, die sich hier auftut. Es ist dieselbe Macht, die seit Jahrzehnten zunehmend frei wird, ja, das ist das neue daran: daß es immer weniger gelingt, diese "Macht" zu ... ja, zu was eigentlich? Zu beherrschen?

Auch, auch das ist es. Denn es ist dieselbe Macht, die überall frei wird, wo sich (alle!) Ordnungsysteme auflösen, und die - wie in chemischten Verbindungen - ungebundenes Bindungspotential und -bestreben darstelle, das nun als Kraft sich äußert. Aber keineswegs haben wir es hier mit einer Macht zu tun! Denn eine Macht ordnet, stellt Ungebundenes an seinen Platz, auf daß es sich zum Wohle aller entfalte, gerichtet, konstruktiv.

Vergleichbar sind diese Erscheinungen, und darin sind sie also lediglich Analogien ein und derselben Vorgänge des 20. Jhds., mit Atomzertrümmerungen, mit der Atomkraft also, die gleichfalls nicht beherrschte Vorgänge bedeuten, sondern lediglich mehr oder weniger beherrschte Freiräume für die Entfaltung des Unbeherrschten weil Unbeherrschbaren. Eine absolut similare Erscheinung, folgerichtig und in einer geistigen Linie, war und ist der Antiautoritarismus, der sich im selben Zeitraum entfaltet hat, dem Zeitalter der "Emanzipation" - wo die Teile "frei" sein wollen, und damit alles, wirklich alles zerfällt, die Teile aber auch zu keiner Erfüllung ihres Möglichen mehr kommen.

Es ist deshalb die selbe Macht, die auch in den soziologischen Formen freigesetzt wurde, durch Feminismus und Antiautoritarismus, die die Form verweigert indem sie mit dem Zerfall des Ganzen, des Organismus droht bzw. diesen permanent riskiert. - Das ist ja eigentlich das Klima, das bereits in den Familien - auch den "gutmeinenden" - herrscht, die ohne es zu wissen bereits mit dem Rücken zur Wand stehen, auf das letzte Glied der Kette zurückgedrängt: wo sie Tag für Tag, selbst schon in banalsten Dingen, mit der Grundsatzfrage konfrontiert sind, das Ganze zu brechen oder nicht. Ja, wo das einzige soziale Rangiermittel bereits die Frage nach dem Ausstieg aus allem ist - aus Beruf, aus Familie, aus Vereinen, aus Gruppierungen und sozialen Zugehörigkeiten, aus Arbeitsverhältnissen, aus Beziehungen die Treue (die es ja solcherart gar nicht mehr gibt) verlangen ...

Jawohl, mehr ist es nicht: die kindische Kraft des Kindes, das den Wecker zerlegt, um ihn zu "erkennen", und ihn dann nicht mehr zusammenbauen kann weil sie entdeckt, daß er eigentlich seinen Sinn hatte. DAS ist überall, wirlich überall und in allen gesellschaftlichen Bereichen - nicht zuletzt in der Kunst, ja dort allem voran, weil die Rationalität sich dort stets ins letztlich Persönliche zurückziehen muß - festzustellen, und ebenso festzustellen ist das Überhandnehmen jener mit Autorität ausgestatteten, die diese Zerstörungs-Erkenntnis für fortschrittlich und innovativ preisen, weil sie nicht (mehr) wissen, was sie tun.

Ungebundene Kraft aber - und ich weigere mich sogar, sie anarchisch zu nennen, sie ist vielmehr chaotisch, dem Anfangsstadium der Welt vergleichbar, auf das sie sich zurückbewegt - zu bündeln und auf Zerstörung auszurichten, das ist keine Macht. Und sie hat wie jene "Kraft" - die ja wieder nur die Äußerung unterbrochenen Eigenbestrebens der natürlichen Materie ist, um es so zu umschreiben - die Eigenschaft, daß sie einmal freigeworden, verduftet, entflieht. Denn um zu einem Molekül, um zu einem Ding zu werden, braucht es weit mehr als die Fähigkeit, diese Kräfte durch Zerstörung freizulegen. Dazu sind ganz andere Kräfte notwendig. Dazu braucht es Idee, Geist, teleologischen Formwillen. Dazu braucht es Tugend, Persönlichkeitskraft, Kultur, Gestalt, Treue, und vor allem Selbsttranszendenz, Übersteigen des momentan zufällig Eigenen im Dienste eines Zieles, das außerhalb von mir liegt, dem ich mich eingliedere, dem ich mich unterordne.

Merkmal aller dieser Bewegungen, die sich tatsächlich zu häufen scheinen, nämlich in dieser Art, ist ja, daß alle nicht wirklich wissen, was sie wollen! Ob die Schüler und Studenten in Wien und anderswo, ob die Massen in Kairo oder Tunis. Die, wenn sie "Demokratie" rufen, dies aus Verlegenheit tun, weil sie hoffen, daß der moderne Aberglaube stimmt, daß das das Konzept wäre, das alle Probleme löse, der Schlüssel zum Paradies. Wie leer die Formel aber ist, das zu erkennen würde bereits jene Tugenden verlangen, deren sie sich ja gerade als Anforderung gerade entledigen wollen. Denn genau das ist ja die eigentliche Stoßrichtung der Emanzipationen des 19. und 20. Jhds. - sie sind Bewegungen gegen die Tugend, gegen das Gewicht der Welt (Und hier sei ausnahmsweisig mal Peter Handke zitiert), sind aggressive Forderungen, das Nichts dem Etwas gleichzusetzen, sind dämonische Aufrufe zur Reflexivität, die letztendlich im Nichts endet.

Die neuen Kommunikationsmittel und -plattformen sind lediglich Katalysatoren, die die Entladungen der Sinnlosigkeit zur weltweiten Verseuchung mit Stumpfsinn potenziert. Sie zeigen derzeit nichts Neues. Solche Erscheinungen funktionieren deshalb auch nur so lange, so lange es etwas zu zertrümmern gibt, und solange dieser Rausch, der auf Irrationalität und Unfähigkeit zur Vernunft beruht, andauert: bis das letzte durch die Detonationen freigewordene Energiequant verkonsumiert ist. Auf dieser heutigen Stufe der "Vernetzung" kann diese Zertrümmerung historisch, da bin ich mir sicher, unübertroffen weit gehen. Und sie ist mit herkömmlichen Methoden nicht mehr zu bremsen, da bin ich mir auch sicher. Man könnte bestenfalls versuchen zu isolieren, oder, umgekehrt, denn jene sind wahrscheinlich die Mehrheit: sich in überlebensfähigen Soziotopen zu isolieren, und den Rest der Welt aufzugeben.

Wie weit das Spiel dort dann gehen kann? Schauen wir in die Genesis: Bis die Erde wüst und leer ist, weil es keine Dinge mehr in ihr gibt. Weil es keinen Geist mehr gibt, der im Menschen Halt findet, und so die ungeformte Erde zur Gestalt formt. Denn, es mag dramatisch klingen, ist es aber auch: wir stehen am Ende aller Kultur, und damit des Menschen.

***