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Freitag, 9. Mai 2008

Armut als Schiene zur Heiligkeit

Ich habe an dieser Stelle bereits einmal von den eigentümlichen und historischen Beispielen widersprechender Art geschrieben, mit der auch kirchliche Stellen heute von der Armut sprechen bzw. mit ihr umgehen.

Da fiel mir - erst gestern, bei "Der Bischof" von B. Marshall - ein, daß der dritte evangelische Rat ... ARMUT ... ist. Das dritte Gelübde der Ordensleute. Neben Keuschheit und Gehorsam. Als Leitplanke des Weges zur Heiligkeit.

Zwar schreibt auch A. Wildgans über die Armut in einem Sinn, wie wir es heute kennen, aber das ist genau auf der heutigen Linie, wenn man versteht, daß sittliches Leben für Wildgans ausschließlich eine Frage des bewußten Wollens ist. Eine Einschätzung, die aus seinem Leben heraus erschlossen wird.

Wildgans schreibt in einem Brief an seinen Freund Arthur Trebitsch (1905):

"... erzeugt die Armut Angewiesenheit auf die zufällige Erwerbsart der Güter... (dies) erzeugt den Mangel an freier Selbstbestimmung über sich und seine Zukunft, schadet dem Kontinuitätsgefühl des Individuums und hindert die harmonische Entfaltung des Charakters, der, unter zu vielen ungewissen Bedingungen stehend, in seiner Entwicklung bald vorwärts getrieben durch den Anfall eines Gutes und das damit verbundene Gelingen eines Planes, bald durch lange Widerwärtigkeiten ins Stocken gebracht wird. Die Konstanz der Willensbildung leidet also unter der Armut. Und da gerade der Wille die ethische Kraft in uns ist, leidet die Ethik unseres Handelns ebenfalls durch die Armut ..."

Im Grunde ist genau diese Argumentation Wildgans' über die Folgen der Armut - er beschreibt aber Elend, nicht Armut - die heute vorzufindende, in ihrem Kern genau die heutige protestantische Sicht.

Denn derselbe Grund - diese Angewiesenheit etc. siehe oben, diese extreme Form der ohnmächtigen Ausgeliefertheit an den Augenblick - ist es, der die Überantwortung an den Willen Gottes an einen Punkt vorantreibt, der dem paradiesischen Menschen "nahe" kommt. Die von Wildgans beklagte mangelnde "Konstanz" des Willens wird anders, als er meint auf eine Metaebene gehoben und fordert ein Sterben, das hart, aber einem evangelischen Rat äußerst nahe kommt.

Das Problem der Armut ist somit "lediglich" die Verelendung durch moralische Überforderung. Armut VERLANGT Sinn, und fordert solchen - sonst führt sie zum Elend und zur Niedrigkeit.

Und erst damit wird deutlich, was der Hl. Laurentius gemeint haben mag, als er von den Armen als den "Schätzen" der Kirche sprach: nicht, weil sie eine Herausforderung an die Gebebereitschaft der Besitzenden darstellten (das wäre zynisch), sondern weil die Armen in besonderer Weise eine Schule der Heiligkeit und Gegenwart Gottes durchleben.





*090508*