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Donnerstag, 22. Mai 2008

Biographiemaschinen

Erdrückt von pausenlosen Vorführungen von aus Verkaufsgründen auf Aussagbares "geprüfte" Archetypen, fixiert auf eine Biographie mit medientauglichen Alleinstellungsmerkmalen gestalteter Bilder, meinen viele Menschen, zu leben hieße ebenfalls, eine Biographie zu erzeugen, die sich nach bekannten Drehbuchkriterien entwickle.

Zugleich übernehmen sie gezwungenermaßen die Rolle des Kameramannes und des Regisseurs, des gesamten Filmteams - und überprüfen als Produzenten laufend, ob das Ergebnis mit den Anforderungen übereinstimmt: den Wirkungen, die die Leben der Vorbilder (angeblich!) hervorrufen.

Eine Berlinger Wahrsagerin hat mir einmal in einem Gespräch erzählt, daß es für Sie oft sehr schwer ist, Kundenzufriedenheit zu erzielen, weil sie mit enormen Erwartungen der Menschen konfrontiert ist. Ausnahmslos jeder ihrer Kunden erwarte sich von ihr Schilderungen von (zukünftigen) Geschehen und Ereignissen, die hollywoodtauglichen Maßstäben gerecht würden.

In Wirklichkeit aber sei das Leben nahezu aller Menschen völlig "normal" und den Erwartungsmaßstäben an Bedeutung und Wirkung gegenüber ereignislos, bzw. spiele sich das Leben fast aller Menschen zwischen sehr engen Polen ab. Damit aber würden sich genau ihre Kunden niemals zufriedengeben.

Aber die Menschen werfen ihr Leben lieber weg, als sich dem Wagnis auszuliefern, daß es ist, was es ist, und unter Umständen nicht Oscardimension hat oder überhaupt bekannten Kriterien nach Lorbeeren einheimst. Die Scham, die der heutige Mensch dabei empfindet, denkt er daran, alle Potemkin'schen Dörfer aufzugeben, zeugt davon, daß es immer weniger Menschen gibt, die ihr Leben kraftvoll leben, sondern die stattdessen Biographien für Fernsehanstalten und Video-Verleihe schaffen wollen.

Weshalb jene Geschäftszweige - noch mehr aber zwischenmenschliche Verhaltensweisen - boomen, die es ermöglichen, die Fassadenkonstrukte von Biographien aufrechtzuhalten. Die das Leben so wunderbar beherrschbar und fehlerlos machen.

Es ist kein Zufall, daß die frühen 1970er-Jahre einen bemerkenswerten Zuwachs einer ganz neuen "Menschlichkeit" brachten. Plötzlich gab es neue Kriterien, die das Maß an Wohlverhalten bestimmten: nämlich wieweit jemand bereit war, der Phantasie des anderen, was denn etwas sei, beizutreten. Gut war, was jedermann dazu erklärte - sympathisch, wer ihn egal worin bestätigte.

Was für eine Heuchelei zog da unter der Mogelverpackung, der früheren Heuchelei ein Ende zu bereiten, ein. Wo man sich wechselseitig interessante Biographien vorlog.





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