(Titelverlinkung: Bericht in der Wiener Zeitung)
Sind wir Menschen blind? Dumm? Im Nachhinein ist man immer gescheiter, sagt man. So einfach aber ist es eben nicht. Vorerst der Bericht über die Vorkommnisse:
Tage vor dem schweren Erdbeben vor ein paar Tagen in China, das zehntausende Tote und Zerstörung über die Großstadt Mianyang und die Region brachte, waren hunderttausende Kröten aus ihren Erdlöchern gekrochen und hatten die Stadt verlassen! Warum dieses Warnzeichen von den Behörden (zur Einleitung von Evakuierungsmaßnahmen) nicht ernst genommen wurde lag vermutlich nur daran, daß es nicht gemeldet worden war. So wie 1976 in Tangshan, wo es 650.000 Tote gegeben hatte.
Denn in China nimmt man solche Vorzeichen ernst: Im Februar 1975 in Haicheng hatte man auf das ungewöhnliche Verhalten von Tieren reagiert und die Stadt rechtzeitig evakuiert: Zwanzig Stunden vor dem Beben war aufgefallen, daß die Schlangen ihre Erdlöcher und die Stadt verließen.
Nicht ernstgenommen aber hatte man 2004 in Thailand die Beobachtung, daß Elefanten und zahlreiche andere Tierarten die Küstenregionen verlassen und ins Landesinnere gezogen waren - lange schon, bevor man an den Küsten das Beben registrierte.
Ebenfalls nicht ernstgenommen worden war am 6. Mai 1976 in Friaul, daß Mäuse und Ratten ihre Erdlöcher verließen und die Tiere in den Ställen panisch wurden. Gleiches hatte man nach dem Bericht des Plinius im Jahre 76 in Pompeji Stunden vor dem Ausbruch des Vesuv beobachtet, aber nicht ernst genommen.
Nicht ernst genommen? Das war es ja wohl vermutlich nicht. Vielmehr zeigt sich, daß alles Unbekannte, Ungewöhnliche, Fremde mit Staunen betrachtet wird, das keine Interpretation erst aus sich heraus findet. Es braucht eben immer den Interpretationshorizont (hier: ein Bild aus der Erfahrung), der ein (immer blindes) Datum zu einem Faktum macht, ja der erst klar macht, welches Datum zu welchem Faktum gehört und deshalb zu beachten ist.
Die Wahrnehmung über die Sinne selbst ist immer blind, interpretationsloses "Geräusch" - ein ganz klares Argument gegen den Unfug, Teleonomie für die Natur anzunehmen. Es ist das genuin Menschliche (oder: Artspezifische), das über die Benennung (über die Erfahrung im Ressentiment, im "festgelegten Bezug", ja direkt könnte man sagen: kulturell Kategorisierte) das nie definierbare Sinnesreizungsgestöber zu Gestalten gliedert.
Kultur ist eben die apriorische Definition der Natur, die Institutionalisierung und damit A-Priorisierung (Voraus-Setzung) von Beziehungen. Das Maß der Wahrheit einer Kultur, ja überhaupt also der Kultur (und nicht: Unkultur) ergibt sich aus der Wahrhaftigkeit ihrer Basis, ihrer Weltsicht! Es sind somit immer die Religionen und Mythen, die ersten, grundlegendsten Sichten der Welt, die eine Kultur definieren und begründen, weil möglich machen!
*170508*