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Freitag, 16. Mai 2008

Weitblick bis ins Heute


Anton Wildgans kritisiert bereits 1921, nach eineinhalb Jahren unglücklich verlaufener Burgtheaterdirektion, die Tendenz des Theaters, um des Effektes willen jedes Prinzip zu verraten. Im Besonderen riskiert er ein Zerwürfnis mit Max Reinhardt, obwohl dieser scheinbar so großmütig zur "Rettung des Burgtheaters" zu sehr günstigen Bedingungen dort zu arbeiten - mitsamt vielen "seiner" Schauspieler.

Wildgans verwahrt sich, unter dem Motto "Entwicklungshilfe" in Wahrheit das Burgtheater als Stätte hoher Kunst zu entleeren und zur Tourneebühne zu degradieren. Gerade im Sinne des zerstörten Landes brauche es eine Stätte wahrer und österreichisch-deutscher Kunst, um das Land geistig-sittlich an hoher Kunst wieder aufzurichten.

Viel zu sehr sei das Theater - namentlich in Berlin (M. Reinhardt) - zur Stätte niedriger Gelüste des Publikums geworden. Die Bühnen selbst seien zu Orten geworden, wo sich Regisseure der Eitelkeit hingeben könnten, unter denen die Schauspielkunst, die sich nur dem Geiste des Dichters verpflichtet zu sein wissen müsse, zur reinen Marionettentätigkeit zerfalle.

Dabei sei ohnehin der Zustand der (darstellenden) Kunst mangels sittlich-geistiger Bildung der Schauspieler in erbarmenswertem Zustande. Wildgans schlägt deshalb 1923 der "Wiener Akademie für Musik und darstellenden Künste" in einem langen Konzept vor, einen Lehrstuhl einzurichten, der genau diesen Schwachpunkt zum Inhalt habe:

Die Schauspieler würden die Stücke und die Rollen nicht mehr verstehen, weil es ihnen an Verständnis für die Probleme und Problematiken der Dichter fehle, die diese in ihre Stücke und Figuren packten. Erst wenn die geistige Problematik der Dichter verstanden sei - die sich in den Stücken ja je nur anders darstelle - sei auch die Gewährleistung gegeben, daß die Schauspieler ihre Rollen gut spielen könnten, weil sie sie verstünden. Schauspiel sei kein technischer Schnickschnack (sinngemäß), sondern als Kunst wie jede Kunst eine Angelegenheit sittlich-geistiger Reife.

Was hat sich bis heute an der Dringlichkeit dieser Forderungen geändert? Die beschreiben, woran das Theater erstickt, vorderhand ins Koma gefallen ist.





*160508*