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Freitag, 16. Mai 2008

Gewalt ist am Rand aller Dinge

Man braucht gewisse Zeit um zu begreifen. Und um den Mut zu finden, sich zu jener Gewalt zu bekennen, die auszuüben vom Wahrnehmen von Verantwortung niemals zu trennen ist. Undifferenziert wurde in den letzten Jahrzehnten Gewalt verurteilt. Indem man von einem von allen zweifelsfrei als wünschenswert deklarierten Zustand der Gewaltfreiheit ausging.

Doch damit macht man eine Utopie (bis hin zum Fatalismus) zum Maßstab der Moral, die auch Handlungen einschließt, die Dinge betreffen, die eben durch die zum Gebrechen, zum Versagen, zur Schwäche, zur Schuld einer Vollendung von Natürlichem als Gesollten disponierte Verfaßtheit des Menschen (Erbsünde) geschützt werden müssen.

Gewalt als Autorisierung ist wesentlicher Bestandteil von Verantwortung einer Sache, einem Ding gegenüber. Damit ist Gewalt Bestandteil von Eigentum, das sonst solches eben nicht ist.

Man vergißt allzu leicht, daß die heutigen Diskussionen um Gewaltfreiheit keineswegs Gewaltfreiheit meinen, sondern subtile, umso niederträchtigere politische Maßnahmen sind, die nur ein Ziel haben: bestimmte, politisch als Gegner auftretende Formen von Gewalt auszuschalten, um anderen Gewaltträgern freien Raum zu lassen.

Dabei soll hier keineswegs von "Gandhi-Phänomenen" die Rede sein, denen ja auch nur grotesk unreflektierte Geister Gewaltfreiheit unterschieben - Gandhi machte nur aus der Not eine Tugend und fand nur andere Formen politischer Gewalt - denn Politik ist immer eine Frage der Gewalt: die KERNFRAGE DER DEMOKRATIE, die sich lediglich um die Regelung der Gewaltverhältnisse dreht, deren Qualität sogar daran bemessen wird, welche Mechanismen sie hat, um diese Gewalt je neu zu verteilen, um damit Mißbrauch vorzubeugen.

Vielmehr soll die Rede von ideologiebestimmter Politik sein, die immer dann schlagend wird, wenn es um die Frage der öffentlichen Moral geht. Denn hier geht es immer nur um männliche Gewalt, um Gewalt der Väter, wenn von Gewaltfreiheit in der Familie gesprochen wird - nie um die Macht und Gewalt der Frau, die sie über die Seelen (als ihre Domäne) haben und ausüben. Selbstverständlich hat diese Gewalt eine bestimmte Form - doch das hat sie auch, wenn sie durch Frauen (und in denselben Fällen) ausgeübt wird.

(Und wie das der Fall ist, beweist eine Anekdote: Beim bundesdeutschen Literaturwettbewerb "Macht und Frau" vor zehn Jahren befand die Jury mit Bedauern, daß die eingesandten Beiträge nicht "auf der Höhe der feministischen Diskussion" seien. Sondern fast ausschließlich Frauen zeichneten, die als Gewaltausübende traumatische Spuren in den dargestellten Figuren hinterlassen hatten.)

Ein nicht unweiser Spruch, der vor Jahren Plakate in Wien (in ganz anderem Zusammenhang) zierte, lautete: "Gewalt ist der Rand aller Dinge." Keine politische Kraft verzichtet also in Wahrheit auf Gewalt! Sie möchte ihre Ausübung und ihre Form nur für sich monopolisieren und legalisieren, partizipieren, und: ihre Hinterfragung verhindern.

Bereits angesprochen, aber noch ausgeführt, sei der eigentliche Hintergrund, worauf sich die Forderung nach Gewaltfreiheit (bis hin zur Bergpredigt als ethische Forderung höherer Art zu finden) bezieht. Sie ist ohne den Begriff von "Wahrheit" nicht denkbar, und bezieht sich auf das Sein selbst, dessen Maß an Entelechie - an Gestaltwerdung also - in seinem Wesen, seiner "Natur" begründet liegt. Jede Gewalt, die eine Naturwidrigkeit an einer Sache will, ist somit tatsächlich abzulehnen. Sie ist ein Schlag ins Gesicht des Schöpfers, und KANN gar keine positiven Auswirkungen haben, weil sie eine Gestalt sucht, die keinen Anteil am Sein hätte - also den Schein sucht. (Was die "natürliche" Neigung der Phantasten, Utopisten und Wirklichkeitsverweigerer oder -gescheiterten zur Gewalt erklärt: Gar nicht selten sind jene, die am lautesten Frieden fordern, am gewalttätigsten bzw. -bereitesten.) Diese Form der Gewaltverweigerung ist ethisch damit sogar gefordert. Auch wenn das Maß der Gewalt im komplexen sozialen und verantwortungsgeprägten Geflecht nicht immer leicht zu finden ist.

Wo immer also jemand sich bemüht, verantwortlich zu agieren, indem er versucht, eine Sache im Bestand zu halten wie zu schaffen, braucht er zumindest auch den Mut zur rechten Gewalt. Gewalt ist somit eine Frage einer richtig und durch die Wahrheit der Dinge definierten Verantwortung, und ihre Grenzen (das betrifft auch die Diskussion um die Monopolisierung der Gewalt durch den Staat, die sich ebenfalls am Zueinander von Individuum und Staat bemessen muß, nicht pauschal beantwortbar sein darf, sonst schafft man Totalitarismus) ziehen sich genau dort.

Sonst tritt ein, was Anton Wildgans angesichts des Ausgangs des Ersten Weltkrieges in einem seiner Briefe meinte: "Wer den Mut nicht hat, Gewalt auszuüben, fällt ihr zum Opfer."




*160508*