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Donnerstag, 15. Mai 2008

Der "pastorale" Ansatz - Armut IV

A. Wildgans, der sich aus eigenem Erleben in Kindheit und Jugend, aber auch aus völlig anderen Zeitbedingungen heraus (er hat das Massenelend im Wien der Wende vom 19. aufs 20. Jahrhundert erlebt, wo Wien binnen 60 Jahren von 500.000 auf 2.000.000 Einwohner auseinandergeplatzt ist) als heute vorherrschen, gegen die negativen Folgen der Armut ausgesprochen hat (die - aus notwendiger Ergebenheit folgende - schon erwähnte Schwächung des positiven Willens), hat sich 1918/19 geweigert, einem Aufruf an die Völker beizutreten, in welchem sämtliche Schriftsteller deutscher Zunge geeint dazu aufriefen, bei den Verhandlungen zu einer Friedensordnung das rechte Maß zu wahren.

Er blieb damit nicht alleine, und hat dies (wie die Mehrzahl der Verweigerer übrigens) damit begründet, daß die Aufgabe der Künstler nicht sei, sich politisch zu instrumentalisieren, sondern das seelisch Gute zu fördern: und das heiße in dieser Lage die Lektionen aus der Niederlage als Früchte zu begreifen, die der Höherentwicklung der sittlichen Lage des Volkes dienten. Und ihm SO zu einer zukünftig hervorragenden Stellung im europäischen Konzert verhülfen. TROTZ der zu erwartenden - und eingetretenen - Ungerechtigkeit der diktierten Nachkriegsordnung.

Wie anders klingen da die Ansätze, die heute Künstler wie Priester dazu bringen, sich für soziale Gerechtigkeit auszusprechen. Wie anders klingt es da, was den Betroffenen heute gesagt wird: da ruft man zur Faust auf, zum Recht auf Gerechtigkeit, das zu erkämpfen wäre.

Ich mußte immer schmunzeln, wenn einer der bekanntesten Arbeiterpriester der Diözese St. Pölten - Relikt eines schnell wieder abgebrochenen Experiments in den 60er, 70er Jahren, wo Priester in den Arbeitsprozeß eingebunden sein sollten, um so in Verbindung zur Arbeiterschicht zu kommen - laut aufschrie, sein Merkmal. Als hätte er, gehaltsabgesichert, existentiell nie einen Moment wirklich gefährdet, aus dieser Erfahrung, auch mal am Fließband gestanden zu sein, Legitimation, für die Arbeiter zu sprechen.

Als einziger. So dachte er, das verriet seine Haltung auf jeden Fall. Wieviel schlechtes Gewissen - das Unausgewogenheit fast von selbst bringt - dabei war, wenn er auf Sitzungen und Versammlungen abstrakte Rechte der Arbeitnehmer einforderte. Dabei wie so viele die personale Natur der Not nie begriff. Diese Form von Hochmut, die sich in "Mitleid" äußerte, ist Kennzeichen dieser lächerlichen Figuren. Sie war auch die Ursache, sich zu marxistischem Gedankengut wie verpflichtet zu fühlen. Sich des eigenen Auges und Herzens zugunsten einer abstrakten Idee, einer idealisierten, romantisierten, kulturverneinenden Lebensform gar (zu solcher wurde der Sozialreformer im 20. Jahrhundert, schon gar, wenn er "Intellektueller" war, auch wenn sie ganz anders dachten und denken) begaben.

Wildgans begriff das. Er begriff, daß die Wechselfälle des Lebens Aufrufe an die Seele sind, freier und damit größer, höher zu werden. Er begriff, daß sein Dienst der war, die Schönheit als Nährquelle aufrechtzuhalten, inmitten einer häßlichen Welt, von der man sich nicht im Untergehen in vermeintlichen Notwendigkeiten übermannen lassen durfte. Die Seele hat gerade in großer Bedrängnis mit ihrer Bodenverbundenheit hauszuhalten, um sich nicht zu verlieren.

Er ist gescheitert.




*150508*