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Mittwoch, 9. September 2009

Keine Bauanleitung für gutes Theater

Ein historisch (bis heute) gnadenlos durchgehecheltes Zeugnis von Mißverständnis belegt die "Poetik" des Aristoteles. Immer wieder wurde und wird (siehe: Hollywood!) sie als technische Anleitung á la "How to write a really good play!" verwendet und mißbraucht.

Die Poetik des Aristoteles aber ist nur verständlich, wenn man seine Metaphysik, die Art wie er die Welt und deren Sinn und Zusammenhang sieht, kennt. DANN die Erkenntnislehre, und das heißt: die Anthropologie, die Stellung des Menschen im Kosmos verstanden hat, und so auch versteht, welche Rolle die Katharsis, die Läuterung zur Sittlichkeit spielt.

Genau daraus nämlich ergibt sich KEINE "Moralanstalt Theater", sondern liegt der Schwerpunkt in der Entelechie des Dargestellten, auf die Bühne gebrachten, dessen Aufspaltung in "Wahr" und "Falsch" eine Frage des Seins und Nichtseins ist - und nicht eine irgendwelcher Moral oder Nützlichkeit. Letztere sind Folgen.

So ist es auch grotesk, die Theatergeschichte im immer wiederkehrenden Kampf mit angeblichen Formalgesetzen zu sehen - am berühmtesten, am verheerendsten: die "drei Einheiten" (Zeit, Raum, Handlung). Ist es eine völlig irrelevante Diskussion, ob drei, fünf oder vier Akte ein Theaterstück wesentlicher machen. Gregor zeigt in seiner Theatergeschichte, wie tödlich lähmend sich solcher Rubrizismus auswirkte.

Das erzeugt sohin auch bei manchen Kritikern, die sich von dieser Dramenlehre abwenden, weil sie zu starr ist, dasselbe Mißverständnis. Aristoteles hat es SO sicher nie verstanden. Er hat lediglich das Wesen des Erzählens, das der Wesenszug der Welt ist, versucht zu fassen. Es geht rein um das Wesen der Katharsis (und das ist der Kern seiner Poetik), der Reinigung der Leidenschaften im Feuer des Mitleidens, deshalb um Elemente wie Identifikation, Glaubwürdigkeit, Nachvollziehbarkeit, um Sympathie und Haß und Liebe, um Mitleid, und: um Konzentration, um Ablenkungsfreiheit! Und nur der ganze Aristoteles läßt erkennen, WARUM die "Poetik" es so und nicht anders beschreibt. Wer diese Grundlagen verstanden hat, sucht eben lediglich die Form, ja für den ist die Form (denn Verständnis und Potenz zum Schaffen haben heißt: "gebärfähige Form haben wie") der einzige Anhaltepunkt.

Form, die der Inhalt und die Gesamtheit des Theaters fordert.

Es gibt keine Bedienungsanleitung für gutes Theater. Es gibt nur Erkenntnis und spezifische Erfahrung, die bereits wieder Begabung voraussetzt. Denn fälschlicherweise wird auch oft vermeint, daß am Theater die Außen- wie die Innensicht der Dinge gleich sein müsse.

Man erkennt eben nur, wozu auch die Schaffenspotenz da ist.

In einer Zeit, in der das darstellende Gewerbe zu einem Laufstall persönlicher Pathologien und Eitelkeiten verkommen ist, natürlich ein Problem.




*090909*