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Montag, 17. Mai 2010

Königin "Vernunft"

Epikur, schreibt Walter F. Otto, werde völlig mißverstanden, wohl absichtlich mißinterpretiert, wenn er als Verkünder oberflächlicher, plumper oder sinnloser Fleischeslust dargestellt wird. 

Das gerade Gegenteil ist der Fall: Das höchste Gut ist für Epikur die Vernunft, sie steht unvergleichbar und weit über aller Philosophie und Wissenschaft - die beide der Vernunft zu dienen hätten. Aus ihr erwüchse dann die Tugend, und irdisches Glück und Tugend sind praktisch identische Begriffe. Nur ein Herz, ein Geist, der in der Vernunft lebe, sei auch in jener Ruhe, die Epikur zum höchsten Lebensziel - dem "göttlichen weil göttergleichen Dasein" - erklärt, in aller Harmonie und Freude und vor allem Heiterkeit. Einer Heiterkeit und Weisheit, eine Ruhe, die aus dem wissenden, offenen Durchdringen der Welt erfließt, einem Freisein von Angst und Getriebenheit, aus völliger Selbstgenügsamkeit.

Zumal: die höchste Freude liegt dem Menschen im Geistigen, weit über allem Körperlichen, und von diesem her ordnet sich in Rangordnung auch das Ziel des Tuns. Die Verfallenheit an Gier und Lust würde dieses höchste Ziel - die Freiheit - aber unmöglich machen, und ist deshalb verächtlich.

Und wir ergänzen mit Schopenhauer, der sagt, daß menschliches Handeln aus Logik und Verstand heraus niemals ordnenbar ist. Sondern nur aus der Vernunft heraus, die im Abwägen - zurück bei Epikur - ihr gelassenes, weil in sich ruhendes Urteil spricht.

So räumt Otto auch mit dem nächste Mißverständnis auf, aus dem Epikur als "Atheist/Materialist" bedacht wurde. Denn für Epikur ist Gott und Religiosität lediglich nicht dumpfem Glauben ausgeliefert, wie die Masse es "braucht", die Gott mit ihren Eigenschaften behängt, aus kurzsichtigen und durchschaubaren Interessen - sondern Gott erschließt sich dem Denken klar und über die geschöpfliche Welt!

An welcher Stelle der Hinweis auf die Katholische Theologie naheliegt, die dogmatisch festhält, daß die Existenz Gottes mit Sicherheit aus der irdischen Erkenntnis hervorgeht. Ausdrücklich lehnt die Dogmatik "Fideismus" - eben jenes dumpfe, verstandes-  und vernunftlose Glauben - ab.

Wenn auch die Wege sich dann trennen, weil zum einen: Gott indirekt  (nicht wie bei Epikur: direkt, was unweigerlich in Selbstvergötterung überleitet, was bei Epikur in der Tat der Fall ist) erkennbar ist, also rückfolgernd, und zum anderen: Epikur jede Offenbarung ablehnt, wobei sich sein Weg der Unmittelbarkeit der Gotteserkenntnis und -anschauung im Subjektivismus, wie er sich in den christlichen Schwärmerbewegungen, der Reformation (auch der Reformation in der Renaissance), und den heutigen Erneuerungsbewegungen austobt. Hier setzt an, was wir an anderer Stelle bereits auseinandergesetzt haben - daß ein Erkennen ohne apriorische Offenbarung gar nicht möglich ist weil formlos, und damit: nichtig, bleibt.

So ist es auch kein Zufall, und höchst aktuell und heute häufig, Epikur in eine "Erwähltheitsvorstellung" abgleiten zu sehen: wo jene "höher" stehen, die frei genug sind, Gott direkt zu begegnen und zu erkennen. Es gibt kaum Charakteristischeres für sämtliche religiöse Erneuerungs- und Reformbewegungen. Auch heute. (Und so ist es kein Zufall, daß Nietzsche von Epikur zuhöchst begeistert war.)

Epikurs Philosophie mündet folgerichtig in einen Deus absconditus, einen abwesenden Gott, denn die Götterwelt hält sich alles ihr nicht gemäße naturgemäß vom Leibe. Also verbietet sich auch jede Teilnahme an menschlicher Sorge und Leid. Umgekehrt gliedert sich jeder Auserwählte, Bessere, in sie ein, nimmt an ihrem Tische, an ihrer Runde teil, der ihre gelassene Freude erreicht hat. Anklänge an heute häufig vorzufindende Meinungsfetzen sind unüberhörbar, ja finden sich bis in NLP-Gedankengänge, in denen sich der Proband gedanklich dem zu Erreichenden "gleichformt", um es so zu inkarnieren.

Um dann, wieder: Epikur, in an sich bemerkenswerten Gedankenkreisen zu landen, die Epikur als keineswegs atheistischen Denker erweisen: dessen Gedanken hier sogar  der christlichen Tugendlehre entnommen sein könnten: wo Gottesverehrung völlig frei von Eigennutz zu sein hat, was die Tugend  und Freiheit erfordert, weshalb alle "irdischen" (volkstümlichen) Vorstellungen (Stichwort: anthropomorph) von den Göttern abzulehnen sind. So aber wird der Mensch zum Verkünder des Göttlichen, zu deren Boten.

Gemäß der antiken Göttervorstellung weiter: sie ziehen ihn zu sich hinauf, er inkarniert sie hinwiederum, seine Tat wird zu jener der Götter - weil er vergöttlicht (Homer: "gottähnlich") ward.

Epikur hat die göttliche Vorsehung nur abgelehnt, um das menschliche Handeln völlig von Eigennutz frei zu bekommen - um es so noch der zu verehrenden Götter würdiger zu machen.




*170510*