Zwanzigtausend Zuschauer sahen beim aus uralter kultischer Opferhandlung - schon auf kretisch-minoischen Bildern, vor rund viertausend Jahren entstanden, ist das Spiel mit dem Stier abgebildet, und der Stier als mythisches Opfer ist im ganzen Mittelmeerraum verbreitet - entwickelten Stierkampf in Madrid/Las Ventas, wie der Stier den Torero Julio Aparicio auf die Hörner nahm - und ihm das Horn durch den Unterkiefer bohrte, den erst niedergeworfenen 41jährigen dann regelrecht aufspießte. Zwei Zuschauer, schreibt der Kurier, seien daraufhin in Ohnmacht gefallen.
Der Torero hat übrigens überlebt, es geht ihm nach sechsstündiger Operation im Krankenhaus wieder gut.
Über den Stier schreiben die Zeitungen nichts. Es geht eben im Stierkampf nicht um die "Ermittlung eines Siegers", sondern um die Zelebration äußerster Möglichkeiten menschlicher, männlicher Freiheit und Macht, gerade im Risiko des eigenen Todes, in Verbindung mit einem kultischen Opfer. Das heißt nämlich: sinnlos, ohne Zweck, nur des Spieles wegen.
Die Herkunft aus Kreta (und damit aus Ägypten beziehungsweise Phönizien) kann der gesamte Mittelmeerraum, in dem Stierspiele - Beherrschung der Fruchtbarkeit - Jahrtausende alte Tradition sind, eben nicht verbergen.
Dennoch wäre interessant gewesen, wie das sechshundert Kilo schwere Tier gestoppt, der Torero von den Hörnern gelöst worden war. Einfach durch gezielte Schüsse? Zu gefährlich. Oder durch einen tödlichen Stoß mit dem Säbel durch einen weiteren Torero?
Wie aber hatte man dann verhindert, daß der Stier, von der Last an seinem Schädel in diese Richtung gezogen, auf den Torero drauffiel, diesem also noch mehr Schaden zufügte? Oder erzählt sich dies alles im ärztlichen Hinweis, daß - oh Wunder! - keine inneren Verletzungen festgestellt wurden, welche Bemerkung nahelegt anzunehmen, daß der Stier, nach seiner Tötung, auf den Torero drauffiel?
Nachtrag vom 25. Mai 2010: Wie Die Presse berichtet, hat der Stier das Horn aus eigenem Impuls wieder zurück (und aus der Wunde heraus) gezogen, Aparicio sich noch aus eigener Kraft aus der Gefahrenzone gerettet, ein anderer Torero dann den Stier getötet. Gerade hier aber hätte die Geschichte interessant zu werden begonnen: Mit einer Kalaschnikow, weshalb nämlich der Stier auf den Torero fiel? Oder mit einem brutalen Stoß einer dem nächsten Picador entrissenen Pica? Oder einer Granate, die ihm ein verwirrter Observator in die Hand gedrückt hatte? Etc. etc.
Oder ist diese Stoßbewegung des Stieres, als Artmerkmal, ganz anderer Natur, so daß der Stier mit einem aufgespießten Torero auf seinem Horn gar nicht wußte, was nun passiert ist, weil das Horn irgendwie gar nicht zu ihm gehört, wie bei einem Fingernagel gewissermaßen, er also gar nicht als "Selbst" gehandelt, die Spitze seines Tuns (wörtlich) mit ihm nichts zu tun hat? Weiß ein Stier, was an der Spitze seines Horns passiert? Fragen über Fragen ...
*240510*