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Sonntag, 9. Mai 2010

Ehe als Metapher

"Gerade im sexuellen Bereich zeigt sich, daß hier der direkte, metaphernlose Bezug einen totalen Anspruch geltend macht. Es soll kein Hiatus, kein Innehalten des Menschen mehr zwischen Anlaß und Vollzug der 'Befriedigung' geben. Die in illustrierten Zeitschriften publizierte 'große Welt' suggeriert ein Verhalten, das nicht nur restlos eingebunden ist in den Mechanismus von Reiz und Reaktion und insofern tierisch wäre, sondern darüber hinaus keine rituellen Umschweife mehr duldet, auf welche die Tiere durch Instinkt immerhin noch verpflichtet sind.

Es bedarf aber jeder soziale Umgang, erst recht der nächste, verbindlicher Spielregeln. Das erste Gesetz der Liebe lautet, daß der andere Mensch nicht Objekt, Gegenstand sein darf, sondern Gegenüber sein muß. [...] Der Zusammenstoß zwischen einer unvermittelten Besitzgier und der Liebe, die in Sorge ist um die Freiheit des Anderen, ist deshalb immer unvermeidlich. Es ist der dramatische Vorwurf, gleichsam das 'Textbuch' der Liebe. In diesem Konflikt muß der Mensch erwachsen werden.

Kann er ihn nicht austragen, versagt er als Akteur des Dramas, dann bleibt er infantil, ein Leben lang, auf einen Partialtrieb fixiert, oral, anal, oder phallisch besessen, alles zum Objekt seines (sekundären) Narzißmus nehmend und keiner menschlichen, das heißt genitalen Befriedigung fähig. Daß diese Infantilisierung massiv eingesetzt hat und gerade in der scheinbaren Liberalisierung des Sexuellen sich durchsetzt, kann nur leugnen, wer die Notwendigkeit des Liebesspiels für die Erhaltung der (substantiell verstandenen) Menschheit bestreitet. 

Zwar ist der genannte Konflikt immer schwieriger zu bestehen, weil die Erwachsenenwelt durch Verrat an fast allen traditionellen Formen des Werbens und Wartens, der Verlobung, der Ehe usw. dem heranwachsenden die kulturimmanente Erleichterung raubte. Aber nichts kann einen Menschen entschuldigen, der sich der Liebe versagt, um entweder in ängstlicher Verneinung oder in verkrampfter Bejahung der abstrakten, das heißt lieblosen Sexualität sein 'Heil' zu finden."



Dietmar Kamper in "Das Spiel als Metapher des Lebens" -
Hier: die Ehe als Spielform menschlichen Liebeslebens




*090510*