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Sonntag, 29. August 2010

Dichterische Haltungen

Zu dem, was den Menschen umgibt, gehören nicht nur die Wesen und Verhältnisse, mit denen er in seinem persönlichen Leben zu tun hat, sondern ebenso die Gestalten und Erscheinungen, die wir im eigentlichen Sinne Natur nennen, die Elemente, die Pflanzen, die Tiere, Luft, Licht, Himmel und Gestirne. Auch mit ihnen steht der reine, in seine Freiheit erhobene Mensch in einem höheren Zusammenhang. 

Keine bloß ästhetische Betrachtung läßt ihn ihren Anblick genießen. Ein wunderbares Leben, ein heiliges Geschick ist zwischen ihm und ihnen. Er drängt sich nicht in ihr Wesen ein, er zieht es nicht selbstherrlich in das eigene. Es bleibt das Andere und Gegensätzliche. 

Aber in der Harmonie der reinen Begegnung ist das Göttliche gegenwärtig. "Die Anorganische Natur, wenn sie rein gefühlt wird, vom rein organisierten, rein in seiner Art gebildeten Menschen, gibt ihm das Gefühl der Vollendung," sagt Hölderlin.

Walter F. Otto in "Der Dichter und die Alten Götter"

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Daraus, meint übrigens Hölderlin, erwachse die religiöse Haltung von selber. Die von ihrem Wesen her durch die Geschichte nur bestätigt werden könne, wo sie bereits Überzeugung wäre. Für die Bildung plastischer Vorstellungen braucht es Beweise, Gründe - nicht aber für dieses unmittelbare "heilige" Gefühl direkter Anschauung.
Da hört man sogar Schopenhauersche Sätze aus seiner Erkenntniskritik: der (passive, leidende) Verstand vermag nur zu bestätigen, was der Wille ihm aufträgt, den angeschauten Dingen zu unterlegen. Die wahre Erkenntnis aber gehe aus einer Anschauung hervor.

Und es bestärkt die alte, gerade auch aus Geschichtsbetrachtungen so erstaunlich deutliche Einsicht, daß der Mensch zu allererst mit religiösen Fragen beschäftigt war - und weil sich in jedem Menschenleben dem Sinne nach die Geschichte selbst wiederholen möchte: in jedem einzelnen Menschen auch heute noch. Was zu vergessen man neigen könnte.

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Mircea Eliade zeigt in "Das Heilige und das Profane", daß sich dies auch an der Siedlungsgeschichte, der Entwicklung menschlicher Ansiedlung belegen läßt: die sämtlich vom religiösen Zentrum ausgehen. Erst wo es ein solches gab, erst nachdem ein solches geschaffen wurde, ließ sich der Mensch nieder. Wo Gott in seiner Mitte war. Täuschen wir uns nicht: auch darin hat sich NICHTS verändert! Der Mensch sucht nach wie vor in allem, was er tut, ERST metaphysische Rücksicherung. Sein Suchen hat nur ein anderes Gesicht angenommen, sodaß das Zeitalter des aufgeklärten Menschen gar nicht viel anderes war und ist als das Zeitalter der Verschleierung und Umbenennung der wirklichen Zusammenhänge der Welt, auf daß seine Religion aufgelöst werde.

Es haben sich aber nur die Namen geändert. Nicht die Menschen und ihre wirklichen Lebensbezüge und Lebensvollzüge. Sie, freilich, wurden nun orientierungslos, unbestimmt, der Dämonie ausgeliefert. Sie waren und sind nicht gewöhnt, mit gefälschten Etiketten zu leben: mit jedem Menschen beginnt die Welt ja neu - an ihrer Wurzel.

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Ist im Anfang Religiosität und Alltag gar nicht unterschieden, weil Religiosität alles Tun und Leben durchwirkt, so bringt die Ausdifferenzierung und Bewußtwerdung allmählich eine Zweiteilung von Heilig und Profan, und so erst erwächst diese Widersprüchlichkeit der beiden. Damit verliert die Religion ihre ursprüngliche Überzeugungskraft, der Mensch beginnt nach ihrer Legitimität zu fragen. Und doch läßt sie sich nicht austreiben: Die Religiosität flüchtet "vor dem Verstande in die Träume," nimmt allerlei befremdliche Formen an, und stellt ihrerseits den Verstand in Frage, nicht durch Gegenargumente, sondern durch das Gefühl der Unseligkeit, das mit der Ausbreitung des profanen Lebens, trotz aller Lobreden auf den Fortschritt, immer verbunden ist. 

Zitate von Walter F. Otto


*290810*