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Sonntag, 8. August 2010

1002. Geschichte aus Afghanistan

Das Nachrichtenmagazin TIME bringt eine Titelseite, die weltweit für Aufsehen sorgt: Es zeigt in Großaufnahme ein afghanisches junges Mädchen, die als Bestrafungsmaßnahme, im Rahmen der Gesetze der Scharia, dem islamischen Recht, von ihrem Ehemann verstümmelt wurde.

Was war geschehen? Das Mädchen wird, wie in Afghanistan üblich, im Alter von sechzehn Jahren als Braut in die Provinz Oruzgan verkauft. Die (große) Familie ihres zukünftigen Mannes, die sich zur Taliban zählt, behandelt sie aber wie eine Haussklavin. Sie wird unter Verschluß gehalten, regelmäßig geschlagen, mißbraucht, sodaß sie nach zwei Jahren davonläuft.

Aber sie kommt vom Regen in die Traufe: sie vertraut sich zwei jungen Frauen an, die ihr versprechen, ihr zur Flucht nach Kandahar zu verhelfen. Dort angelangt, versuchen diese jedoch, sie an einen anderen Mann zu verkaufen. Dabei werden aber alle drei von der Polizei aufgegriffen, und vom Gericht zu drei Jahren Haft verurteilt, weil Davonlaufen zwar kein offizielles Delikt ist, in der Praxis jedoch (so die Grossman Burn Foundation) so behandelt wird. Der afghanische Präsident reduziert die Strafe in einem Gnadenakt auf fünf Monate.

Kaum hat sie das Gefängnis wieder verlassen, findet sie zufällig ihr zukünftiger Schwiegervater, hält sie fest, und bringt sie in sein Haus zurück. Dort sieht sie das erste Mal ihren anzutrauenden Ehemann, der mittlerweile aus Pakistan zurückgekehrt ist. Er ist wütend auf sie, denn sie hat ihn entehrt, und er schleift die junge Frau vor ein Gericht der Taliban, das nach der Scharia Recht spricht. Das Urteil fällt rigoros aus: Sie geben dem Mann recht, und ermächtigen ihn, das Mädchen zu bestrafen.

Der bringt sie in die Berge, läßt sie von seiner Familie am Boden festhalten, und schneidet ihr mit einem Messer erst die Ohren, und dann die Nase ab. Sie solle, so die Begründung, keinen Tag mehr in den Spiegel sehen können, ohne vor sich zu erschrecken. Anschließend läßt man sie einfach liegen. Die junge Frau überlebt, wendet sich an die Amerikaner, und landet schließlich bei der Organisation "Women für Afghan Women".

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TIME hat angeblich lange überlegt, das Bild zu veröffentlichen, sich dann doch dazu entschlossen. Man wolle davor warnen, was passieren würde, wenn in Afghanistan - bei Rückzug der westlichen Truppen sei das auf jeden Fall zu erwarten - die Taliban die Macht wieder an sich rissen. Oder, wie diskutiert, schon derzeit mehr an der Macht beteiligt würden.

Die Frau selbst wird in nächster Zeit, finanziert von einer Wohltätigkeitsorganisation, in die USA reisen, wo man ihr durch kosmetische Operationen das Gesicht wiederherstellen möchte. Sie sei, so die Redaktion von TIME, ein Symbol für den Kampf der Frau um ihre Freiheit dem Mann gegenüber.

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Es gehört gewiß Mut dazu, an dieser Stelle an die Freiheit und Integrität der Familie, an ihre heiligen Ordnungen zu erinnern. Und doch tue ich's. Denn gerade hier steigt der Ekel vor der alles vernichtenden Gefühlsblindheit der Gegenwart, die das Richteramt für sich beansprucht, und als Verheißung das Ödland des Nichts hinter ihrem Rücken bereithält. 

Selbst wenn der Ekel vor schwächelnden Männern, die verweichlicht und unbeherrscht und sittenlos genug sind, um sich, unter dem geifernden Zuruf stinkender, eifersüchtiger Weiber, die das Volk selbst - und damit mit Gewißheit die Männer - in ihren Krallen halten, zu blindem, willkürlichem Zorn hinreißen lassen, nicht geringer ist.

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Aber vielleicht ist das Allerstörendste dabei, daß sich die Internationalität zum Richter aufwirft, und für sich beansprucht, Recht herstellen zu müssen, weil - zu können. Weil die Psychose der Schmerzvermeidung vor dem Schmerz der anderen Hysterie wird.



*080810*