Völlig zu Unrecht wird Schiller, sieht man von Jugendsünden ab, als der Künder des Individuums gefeiert, das sich gegen die Ordnung auflehnt. Vielmehr muß gelten, betrachtet man seine gesamten mittleren, späteren Dramen, daß Schiller die Legitimität der Ordnung über alles stellt. Sein Auflehnen ist nur ein Auflehnen gegen die ungerechtfertigte Regierung.
Ob in Maria Stuart - "Regierte hier Recht, lägest du vor mir auf den Knien, denn ich bin dein König!" - oder Johann von Orleans - "Hier steht die Gottgesandte, die Euch den angestammten König wiedergab!" - zu Wallenstein - "Das Jahr übt heiligende Kraft; sei im Besitze, und du wohnst im Recht, und heilig wird's die Menge dir bewahren." - Geht es ihm immer sehr deutlich um die Beseitigung aller Illegitimität, und die Herstellung eines in heiliger Ordnung fundierten Ordnung. Selbst im Freiheitsdrama par excellence, im Wilhelm Tell, heißt es: "Ein Oberhaupt muß sein, ein höchster Richter, wo man das Recht mag schöpfen im Streit."
So stellt sich Schiller's Freiheitskampf als Kampf gegen die Usurpateure der Macht dar, um die heilige und alte Ordnung wiederherzustellen - nicht, um eine neue zu schaffen. Die Mißstände der Gegenwart sind in der Ungemäßheit der Regierung gegründet. Sie fortzuschaffen heißt, dem Volke den Weg freizumachen zu seiner Natur gemäßen Gestalt - und erst dann kann sich Schönheit und Glück einstellen.
Nicht vergessen darf man, daß Schiller alle diese Dramen in einer Zeit schrieb (1798 bis 1805), in denen überall in Europa von einem Usurpateur, Napoleon, die alten Ordnungen beseitigt wurden. Der Glaube an die Kraft der Rechtmäßigkeit des im Gestern sich zeigenden Ewigen, Echten, das den Daseinsgrund gar bietet, hat die Unterjochten aber überleben lassen.
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Nadler weist darauf hin, daß Schiller Wallenstein sogar sprechen läßt:
Ein unsichtbarer Feind ist's, den ich fürchte
Das ganz Gemeine ist's, das ewig Gestrige,
Was immer war und immer wiederkehrt
Und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.
Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht,
Und die Gewohnheit nennt er seine Amme.
Weh dem, der an dem würdig alten Hausrat
Ihm rührt, das teure Erbstück seiner Ahnen.
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Ja, es verklärt sich sogar - himmlische Mächte steigen dann schon hernieder, um für den rechtmäßigen König einzutreten und zu kämpfen. (Johanna von Orléans) Ein bemerkenswert barocker Gedanke, übrigens, auf den zu Schiller - mitten in der Romantik rund um ihn - sich hingearbeitet hat. Und nicht nur inhaltlich - die Jungfrau ist schon als Textmatrix angelegt, auf die Musik und Chöre (Massenszenen, auch im Tell!) gesetzt werden sollen. Schiller steht (wie Grillparzer) damit am Höhepunkt der Theaterkunst aus Humanismus und Barock.
*180810*