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Donnerstag, 23. Oktober 2008

Ewige Gegenwart - Zur Zeit in Mosebach's "Eine lange Nacht"

Jede literarische Form, die im Laufe der Jahrtausende der Menschheitsgeschichte ausgebildet wurde, hat ihre Entsprechung in einer Sicht der Wirklichkeit, ankert insofern in der immanenten wie expliziten Metaphysik des Autors.

Das macht das Beeindruckende an Mosebach's Buch "Eine lange Nacht" aus. Nicht nur findet sich darin die vollkommenste, spannendste und genaueste Schilderung des Sterbens (anhand der Figur des Vaters des Proponenten), die mir in der Literatur bekannt ist, sondern was Mosebach hier fast schon perfekt gelingt, ist die Komposition des Zeitbegriffs, der zeitlichen Ebenen des Buches, des Geschehens.

Ausgehend von einem (erkennbaren, insofern hineininterpretierten) Wirklichkeitsbegriff, der keine Zeit im Sinne von Linearität kennt, sondern immer nur Gegenwärtigkeit, die andere Gegenwärtigkeiten in der Erinnerung präsent hält, was die Illusion einer vorwärtsgehenden Zeit schafft. Die Welt selbst ist immer nur actu, aktuell, in einem unendlich kleinen Punkt der Gegenwart, ihrem ruhelosen Schreiten vom Gestern ins Morgen.

In Mosebach's Buch (erschienen 2000) ahnt man von dieser Gegenwärtigkeit. Fast unbemerkt, nur jeweils kurze Momente irritierend (und hier ist bestenfalls noch der Punkt an dem man merkt, daß Doderer's Forderung, der Roman sei an diesem Punkt noch zu vervollkommnen, noch nicht ganz erfüllt ist, hier hört man noch das Handwerk klappern) gleitet man von Situation zu Situation, die - wie die Wirklichkeit der Welt, in der wir leben - nur noch Variationen eines ewig gegenwärtigen Hierseins sind. Versuche, gültig zu sein.

Das ist das Wesen der Dramatik: das Ringen um Gültigkeit. Nichts anders ist der Sinn unseres Lebens, nichts anders gibt uns im Alltag gar den Antrieb: endlich gültig sein, endlich für die Ewigkeit (sprich: geglückt) sein und aus diesem Zustand heraus handeln.




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