Was in dem aktuellen Film der Coen-Brothers "Burn after reading" am Augenfälligsten ist, ist der Umstand, daß diese scheinbar verrückten Menschen des Alltags den heutigen Menschen darstellen, wie er realistischer kaum darzustellen wäre: völlig eingesponnen, ja erstickt in Teillogizismen, deren Irrsinn im Insgesamt man, inmitten des alltäglichen schnellen Lebens kaum noch bemerkt. Wo immer umfassendere, aber in sich geschlossene Systeme (hier: CIA etc.) noch mit gewissen Logiken agieren, stehen sie diesem Phänomen gegenüber wie Menschen, die stachelige Kastanien in Händen halten (müssen). Ja, die einzigen im Insgesamt Vernünftigen oder eine solche Vernunft (aus Wirklichkeitsdruck und -ernst) ahnen lassende Aussagen kommen ... von diesen Geheimorganisationen. Beziehungsweise von wenigen Menschen, die sich noch Vernunft bewahrt haben, damit aber wie Fremde in einer emanzipierten Welt herumtorkeln, die sie nicht mehr verstehen.
Köstlich deshalb unter anderem die Zeichnung der Personen der russischen Botschaft, die - wie aus einer anderen Zeit und Welt kommend - am klarsten sehen und handeln. Illustrierend für diese Aussage auch: der Manager des Fitneßstudios, der die Proponentin tatsächlich liebt, sie aber nicht auf den Boden der Wirklichkeit zu ziehen vermag, und deshalb sich selbst entwurzelt, um sie zu erreichen. Was ihn aber teuer zu stehen kommt.
Der Coen's Darstellungen mögen uns übertrieben vorkommen, vielleicht ist es das in dieser Dichte selbst für US-amerikanische Verhältnisse. Genau dann aber ist es das m. E. aber nicht: hier ist der Film lediglich (wie Kunst eben ist) prophetisch. Sieht bereits im Gegenwärtigen, was zukünftig sein wird.
Die Coen's zeigen diese Gegenwart. Der alltägliche Mensch heute ist nicht mehr vernünftig, und er vermag das auch gar nicht mehr zu sein: er befindet sich in keinem Insgesamt mehr, in keiner Ordnung, die seine sozialen Bezüge noch sinnvoll macht. Diese sind nur noch und bestenfalls kurzfristige Anlaufstellen für zu befriedigende, weil an die Oberfläche kommende Bedürfnisse.
In Händen riesige Mengen an Puzzleteilen, aus allen möglichen Gesamtbildern herausgerissene Versatzstücke, die allesamt nicht mehr zusammenpassen, ja das auch gar nicht können, "gezwungen zu leben", schlägt er nur noch blind um sich. Was da auf uns noch zukommt, vermag man derzeit kaum abzuschätzen. Irrsinn ist es allemal.
Unter anderem schon in dem ebenfalls exzellenten Film "Fargo" haben sich die Coen-Brüder im Grunde bereits mit diesem Thema befaßt: der Berührung einer Welt der Vernunft, die vor diesem Vordergrund "konservativ" scheint, ja sich mit dieser Attitüde sogar zu schützen sucht, in der Berührung mit der heutigen Welt, wo der Einzelne in geschlossenen, in sich gespenstisch stimmigen Teilwelten der Verrücktheit subsistiert. In der Chronik ihres Schaffens zeichnen sie somit die Entwicklung der westlichen Gesellschaft nach, und zeigen in "Burn after reading" fast berichthaft deren Entwicklung hin zu einer verrückten Welt, in der nichts und niemand mehr Halt findet. Wo jedes wirkliche, genuin menschliche Streben und Bedürfnis karikaturhaft nachgezeichnet, aber nicht mehr erreicht wird.
*151008*