Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Phantasie ist eben nicht Phantasy

Cervantes geht im Don Quijote häufiger als man erwarten würde auf die Literatur der (damaligen) Gegenwart ein. Wobei nicht zuletzt diese fast essayistischen Ausflüge, die er vor allem dem Pfarrer in seinen Dialogen in den Mund legt, seine kaum zu glaubende Aktualität ausmacht: der Don Quijote ist tatsächlich ein hochaktuelles Buch, frisch in seinen Thematiken, als wäre es gestern geschrieben. Man lasse sich nur nicht von den Kostümen täuschen.

In einem dieser Ausflüge weist er auf den Unterschied zwischen guter und schlechter Ritterliteratur hin. Cervantes zeigt darin den Unterschied zwischen phantasievoller Literatur (ein Beispiel hierfür ist für mich J. R. R. Tolkien mit seinem Hobbitreich in "Der Herr der Ringe") und "Phantasy" hin. Denn ja, die gab es auch schon damals.

Gute Literatur bleibt erfunden, aber ihr Reich, die geschaffenen Welten, sind Analogien zur "wirklichen Welt", und weil nichts letztlich erfunden werden kann, das nicht aus dieser realen Welt stammt, weil der Mensch ja nicht Gott ist, ergibt sich ihr Wahrheitsgehalt automatisch. Gute, phantasievolle Literatur ist deshalb im selben Maß wahr, als es jeder künstlerische Text ist: er ist wahrscheinlich, plausibel, und verbindet das Zweifelhafte, Erfundene mit dem Möglichen. Das Hohe wird - so Cervantes, und wir wollen ihm hier ungeteilt zustimmen - somit vertrauter gemacht, so daß die Gemüter in Spannung bleiben.

Ganz anders die Phantasy-Literatur, die wie jede andere schlechte Literatur zu erkennen ist. Sie bezieht ihre Spannung aus der reinen Spekulation mit dem Unbekannten, das in diesem Fall aber ganz sicher nicht gekannt sein kann. Der Autor spekuliert geradezu mit dem Irrationalen (nicht aber mit dem Numinosen, hier täuscht er nämlich). Seine Bestandteile sind nicht der Wirklichkeit entnommen. Ihre Handlungslösungen sind deshalb immer überraschend, und unterwerfen sich keinem Plausibilitätsanspruch. Das rückt sie sogar in die Nähe der Dämonie (die nämlich nicht aus dem dargestellten Gegenstand, sondern aus der Art der Darstellung kommt) und macht sie sogar dämonisch. Ihre Beliebtheit erwächst ganz einfach aus ihrer Entsprechung, mit der sie bestimmten Persönlichkeitsstrukturen antworten, ihre Wirkweise ist Faszination, die dem Kult verwandt ist.




*231008*