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Donnerstag, 16. Oktober 2008

Pogrom (Armenien)

Abdul Hamid sah sich einer von Ägypten und v. a. dem Sudan (Mahdi-Aufstände) ausgehenden panislamischen Bewegung gegenüber, der die realpolitisch schwache Stellung der Türkei - das osmanische Reich war längst eher eine Glaubensgemeinschaft als eine Nation - gar nicht mehr entsprach. Die Religionsführer, Aufwiegler etc. gingen längst im Palast ein und aus, drängten zur islamischen Tat: ein neues Zeitalter war angebrochen, Jahrhunderte der Demütigungen islamischer Mächte durch das Christentum sollten ein Ende finden. Dabei waren christliche Minderheiten ein Dorn im Auge - wie jene in Armenien, noch dazu politisch ein Risiko durch die Grenze mit Rußland, wo ebenfalls eine starke armenische Bevölkerungsgruppe lebte. (Das russische strategische Ziel ist ja bis in diese Jahre gleich geblieben: der Zugang zum v. a. eisfreien Meer, im Norden, wie im Süden über Kleinasien - die Arktisfrage muß man auch vor diesem geopolitischen Hintergrund sehen)

Dazu die Munkeleien, hinter vorgehaltener Hand, die nicht verstummen wollten: er stamme nicht nur von einer armenischen Mutter ab, sondern gar der Vater sei ein armenischer Sklave. Wozu kam, daß im Palast die Armenier gesuchte Kräfte waren, weil sie die islamischen, oft kleinlichen Moralbedenken nicht kannten. So bereitete sich auch der psychologische Boden beim Sultan auf.

So begannen die Provokationen gegen die (christlichen) Armenier. Die wiederum fühlten sich ermutigt wie gestärkt durch die internationale Presse, die Reaktionsbereitschaft sämtlicher westlicher Mächte, einschließlich Rußlands, vorgaukelten.

Aber Rußland hatte (wahrscheinlich aus den Erfahrungen mit Bulgarien heraus) plötzlich kein Interesse mehr an einer Unterstützung. Die Westmächte reagierten ebenfalls nicht, England sah sich Vorteile durch den schwachen Sultan am Suez (ihre Strategie geht mit dem arabischen Aufstand unter Lawrence und dem Einfluß auf den persischen Golf endgültig auf) und will damit den status quo erhalten, Frankreich nützte es gleichermaßen für seine Ambitionen in Nordafrika (wo es bald in Konflikt mit Italien geraten wird). 

Der Deutsche Kaiser wiederum war v. a. durch wirtschaftliche Kooperation bald der engste (sogar: persönliche!) Freund des Sultans, den die ganze diplomatische Welt meidet, ja den man öffentlich als "Mörder" tituliert. Denn auch die deutsche Strategie - Reaktion auf die Beherrschung der Meere durch England - beginnt zu arbeiten, und wird für Jahrzehnte im Rennen um die Machtverteilung in kommenden globalisierten Zeitaltern (DAS Problem europäischer Politikperspektive) unheilvoll weiterwirken: in Einflußnahmen auf den Osten und Südosten, vom Balkan ausgehend, mit dem Fernziel: persischer Golf, Irak, als Ausgleich für mangelnde Kolonien ("Volk ohne Raum!") und Rohstoffe ...

Die verbitterten, panislamistisch leicht beeinflußbaren Zwangsausgesiedelten aus den Einflußverlusten am Balkan wurden zwischenzeitlich in die armenischen Gebiete eingesiedelt. Die Träger der ersten Greueltaten aber waren Kurden, die durch steuerliche Daumenschrauben von den Armeniern nicht mehr bezahlt und damit stillgehalten werden konnten. Alleine in den ersten Tagen des "Volksaufstands" gegen die Christen wurden 60-70.000 Armenier niedergemetzelt. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis auch eine Radikalisierung armenischer Gruppen eintrat.

Zwischen 1890 und 1896 kamen, so schätzt man, mindestens 200.000 Armenier ums Leben. Manche Schätzungen sprechen von einer Million Opfer.



*161008*