Der Regensburger Soziologe, Prof. em. (Regensburg, St. Gallen, Basel, Trento) DDr. Robert Hettlage (D) im Radiogespräch über das Glück:
"Fragt man alte Menschen, egal welcher sozialen Schicht, was in ihrem Leben glücklich war, so kommt eigentlich ausschließlich das Erinnern an die Familie zum Vorschein, nämlich auch dort, wo die eigene Familie scheiterte: dann zählt die Kindheit. Glück läßt sich vielleicht wirklich so definieren: dann ist man glücklich, wenn man verstanden wird, wenn man angekommen ist, wenn man zuhause ist - wo einfach die Schwingungen stimmen. Da genügen einige wenige Menschen."
"Glück hat mit sozialen Anbindungen zu tun: die sind notwendig fürs Glück. Und man wird diese Einbindungen auch nie los."
"Gerade auch, wenn die beruflichen Aufgaben weniger werden - immer ist es dann die generationenübergreifende Familie, die noch übrigbleibt. Fehlen diese Bezugspersonen, bleibt nur Egoismus, den die Alten selber als unwürdige Existenz begreifen."
"Frauen sind weniger glücklich als Männer, und häufiger depressiv. Das hatte früher wohl damit zu tun, als die Familie als Gefängnis, zumindest teilweise, empfunden wurde. Einen Ausweg aus dieser Eintönigkeit gab es kaum, die Anbindungen an die Außenwelt fehlten. Das ist heute zwar anders, aber die Frauen sind nach wie vor die unglücklicheren: Sie erleben, eingespannt zwischen Familie und Beruf, von letzterem sie trotz der hohen Belastung nicht lassen wollen, heute ein Scheitern ihrer hohen Kommunikationsanforderungen."
"Die Menschen heute kommen durch die langen Ausbildungszeiten sehr spät erst in der Gesellschaft an. In den Examen - da sitzen einem 30jährige gegenüber, die zwar viel gesehen haben, überall waren, aber Kinder sind: sie sind noch niemand, nicht angekommen, erst dabei sich die Zutrittsgenehmigungen für die Gesellschaft zu erwerben. Das war früher sicher anders: die Menschen waren früher erwachsen."
"Die Politik ist immer dann gefährlich gewesen, wenn sie sich verantwortlich für das individuelle Glück erklärte. Das ist Privatsache: die Glücksfindung. Die Politik kann nur die Rahmen schaffen. Dazu gehört sicher, die Belastung der Frauen zu vermindern, gerade vor dem Hintergrund, daß Familie Bedingung für Glück ist. Früher zum Beispiel waren die Kinder nach der Schule sich selbst überlassen, es gab eine eigene Kinderwelt: sie liefen auf die Straße, trafen sich auf den Plätzen. Das gibt es nicht mehr. Stattdessen beginnt weiterer Terminstreß, Ausbildungstermine etc. Oder es ist zu gefährlich, zum Beispiel, die Kinder auf die Straße zu schicken."
"Rollenbilder sind so komplex, daß wir nicht wissen, wie sie entstehen oder veränderbar sind. Was in den 50ziger Jahren passierte war eine Revolution, die vorwiegend durch den Bedarf an Arbeitskräften entstand, die die Frauen in den Produktionsprozeß holte. Dennoch gibt es in interessantes Phänomen: Frauen werden nach der 'Babypause' selber ambivalent. Damit werden sie für die Betriebe weniger berechenbar, die sie durchaus als qualifizierte, ausgebildete und erfahrene Arbeitskräfte wieder zurückhaben wollen. Aber Frauen beklagen sehr die Härte der Arbeitswelt, die diesem oft überraschenden Glück in der Familie gegenübersteht. Trotzdem ist zu beobachten, daß man nicht verstanden wird, wenn man die Frauen fragt: warum also wollt ihr in diese harte kapitalistische Welt überhaupt rein? Warum nicht in der Familie bleiben?
Männer haben keine Alternative. Frauen können ihre Rollen ja wählen: Familie und Beruf. Nicht so Männer. Es gab einen Stern-Journalisten, der sich entschied, Hausmann zu sein, und darüber ein Buch schrieb. Dennoch - nach ein paar Jahren kam er zurück, und er bekannte: es war für ihn unvereinbar mit seinem Selbstbild, mit dem Bild, das er als Mann von sich hatte. Als Hausmann war er eine gesellschaftliche Null, und damit wurde er nicht fertig. Das muß man einfach auch in der Gender-Forschung zur Kenntnis nehmen."
"Die Komplexität heute - durch die Globalisierung - ist von niemandem beherrscht und beherrschbar. Und mit einem Mal wird der kleine soziale Bezug wieder so wichtig, um zu verankern: Heimat, Familie, die Denkmalpflege, die Erinnerung ... Da kann man wieder gestalten, da überschaut man die Problematiken."
"Die 68ziger-Bewegung hat die Familienbezüge geöffnet. Heute verlangen wir wieder nach mehr geschlossenen Räumen, die Offenheit war uns zu weit."
"Ich glaube nicht an die Single-Gesellschaft. Zwar haben wir viele Singles, aber die meisten sind unechte Singles: ungewollt, oder aus Witwerschaft, in Partnerschaft, etc. Echte Singles sind vielleicht fünf Prozent und fast alle davon sagen: wir suchen einen Partner! Die Singlegesellschaft ist eine Chimäre."
"Wenn man diese Patchwork-Verbindungen ansieht, so täuscht man sich gerne. Überall sind gewaltige Verletzungen da, und die verfolgen die Menschen bis ins hohe Alter. Familie ist nicht so einfach ersetzbar, weshalb man sich auch Scheidungen viel besser überlegen sollte. Man könnte z. B. einen Ehevertrag aufsetzen, wo man vereinbart, daß im Scheidungsfall eine Mediation verpflichtend zu konsultieren wird. Es fehlt heute ja schlicht oft an Sozialtechniken."
Zum (eigenen) Pensionsalter (Hettlage ist 60): "Wir sind so eingespannt, daß wir nicht zum Nachdenken kommen. Man publiziert, initiiert ständig, und kommt nicht mehr zum Nachdenken. Ob man mit 65 dieses Podest der Eitelkeit verlassen kann, hängt davon ab, ob man genug Substanz angehäuft hat, das zu verkraften. Vielleicht kommt in diesem Schauen, Zuhören, das nun als neue Phase ansteht, doch ein wenig Weisheit vorbei."
Literaturliste DDr. Hettlage
*081008*