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Der Wissenschaftler wird geltend machen, daß der Blutkreislauf eine verifizierbare Tatsache ist, was aber ist dann das van-Eyck-Portrait - eine Pseudo-Erklärung, wie der wissenschaftliche Philosoph sagen würde, *ein einen Gefühlszustand ausdrückendes Symbol*? Weshalb nennen wir dann van Eyck *den erschöpfendsten und quälendsten Interpreten der menschlichen Natur*, der jemals gelebt hat (Panofsky)? Der weitestgehende Anspruch, der für die Wissenschaft geltend gemacht werden kann, ist der, daß sie die Geschichte der Natur ist. Der weitestgehende Anspruch, der für die Kunst geltend gemacht werden kann, ist der, daß sie die Schaffung von Natur ist - daß sie eine völlig autonome Welt ins Leben ruft.
Dies ist der extreme Standpunkt von André Malraux; ich für meinen Teil begnüge mich damit, geltend zu machen, daß sie die vorhandene Welt erweitert, sie durch neue Tatsachen, durch Elemente vergrößert, die dem menschlichen Erlebnis Dauer verleihen."
Read greift, wie er sagt, nicht die Wissenschaft an, sondern nur deren heute vorgetragenen "Anspruch, die einzige ausreichende Grundlage der Philosophie zu sein oder mit der Vernunft selbst identisch zu sein."
Herbert Read in "Formen des Unbekannten"
*080410*