Dieses Blog durchsuchen

Sonntag, 18. April 2010

Man lebt, wie man glaubt

"Es kommt also zunächst wieder darauf an: die besondere Eigenart des okzidentalen und, innerhalb dieses, des modernen okzidentalen, Rationalismus zu erkennen und in ihrer Entstehung zu erklären. Jeder solche Erklärungsversuch muß, der fundamentalen Bedeutung der Wirtschaft entsprechend, vor allem die ökonomischen Bedingungen berücksichtigen.

Aber es darf auch der umgekehrte Kausalzusammenhang darüber nicht unbeachtet bleiben. Denn wie von rationaler Technik und rationalem Recht, so ist der ökonomische Rationalismus in seiner Entstehung auch von der Fähigkeit und Disposition der Menschen zu bestimmten Arten praktisch-rationaler Lebensführung überhaupt abhängig. Wo diese durch Hemmungen seelischer Art obstruiert war, da stieß auch die Entwicklung einer wirtschaftlich rationalen Lebensführung auf schwere innere Widerstände. Zu den wichtigsten formenden Elementen der Lebensführung nun gehören in der Vergangenheit überall die magischen und religiösen Mächte und die am Glauben an sie verankerten ethischen Pflichtvorstellungen
."



Max Weber in "Die protestantische Ethik", worin er (selber Protestant) aufweist, wie die Entwicklung des modernen Kapitalismus von der Entwicklung des emanzipatorischen Protestantismus nach Luther bedingt ist. Wie, vereinfacht, die Art des menschlichen (und natürlich vor allem wirtschaftlichen) Handelns von der Grundhaltung zur Welt bestimmt ist. Der Protestantismus aber hat das Wirtschaften selbst, weil das ganze Denken über die Welt, in der Entmythologisierung zu einem bestenfalls noch durch positivistische Moral, nicht mehr aber aus dem (metaphysiklosen) Wesen der Dinge heraus (deren Maß nicht mehr in ihnen selbst, in ihrer Natur, und als solche Willensäußerung Gottes, liegt), beschränkbaren Selbstzweck entfesselt.

Der Rationalismus, der Technizismus der Gegenwart ist maßgeblich einer Geisteshaltung innert, die deckungsgleich mit den Quellen des Protestantismus ist, und umgekehrt, vor allem eben: umgekehrt. Denn die Sicht auf die Welt, die Haltung zu den Dingen, bestimmt jeden Moment menschlichen Handelns. Schon gar, weil der Protestantismus einem ununterbrochenen "Erziehungsprozeß" gleichkommt. Das "sola fide" Luthers - nur der Glaube genügt - führt zu einer Überbetonung des Wertes der menschlichen Arbeit und Leistung in ihrer Instrumentierung! Nicht zufällig gibt es im Protestantismus das "nutzlose Spiel" als Lebensform - das Mönchstum, der ausgeprägte Kult - NICHT. Gott zu gefallen ist nur noch über die Erfüllung nützlicher innerweltlicher Pflicht möglich. Weshalb die disziplinierenden, alles kontrollierend-moralisierenden Elemente des Mönchstums, profaniert, sehr wohl ins Laienleben übernommen wurden. Cromwell's puritanische Truppen hießen "die Mönche"! Damit wird sogar die Wirklichung in der Welt - H. Marcuse schreibt das einmal - "unvernünftig", nicht mehr wirklich rechtfertigbar, letztlich: sinnlos, und damit ... normenlos. Luther sagt es ja einmal: "Die Werke aber sind tote Dinge, können Gott nicht ehren noch loben."


Max Weber stellt also nicht zufällig fest:

"Ein Blick in die Berufsstatistik eines konfessionell gemischten Landes pflegt mit auffallender Häufigkeit eine Erscheinung zu zeigen, welche mehrfach in der katholischen Presse und Literatur und auf den Katholikentagen Deutschlands lebhaft erörtert worden ist: den ganz vorwiegend protestantischen Charakter des Kapitalbesitzes und Unternehmertums, sowohl wie der oberen gelernten Schichten der Arbeiterschaft, namentlich aber des höheren technisch oder kaufmännisch vorgebildeten Personals der modernen Unternehmungen."



*180410*