Im Aufschwung der Städte, der Kaufmannschaft, im Götzen Geld, der nun aufgetaucht war, in der Demontage von Adel und Reich, in den Ereignissen des 13. und 14. Jahrhunderts, sieht Joachim Fernau die Geburtsstunde des deutschen Spießers.
"Damals bildeten sich im Charakter der Deutschen auch jene Züge, die sich bis heute gehalten haben und die so widerwärtig, so unleidlich und oft so beschämend sind.
In der ideenlosen, engen Welt der kleinen Städte ohne Vaterland wurde der Vereinsmeier geboren, der seinen Stolz in lächerlichen Dingen sucht, der sich unter dem Banner seines Kegelklubs und unter donnernden Reden beerdigen läßt; der Titelkranke, der vor Wut bebt, wenn man ihn nicht mit Herr Doktor anredet; der Radfahrer, der nach unten trampelt und nach oben schamlos buckelt; der stille Hasser alles Fremden und anders Gearteten, das sein Philistertum bloßstellt, und der berühmte "Feigling in der Fremde", der alles einsteckt, weil seit jenen alten Tagen fast niemals mehr die Macht eines Vaterlandes hinter ihm gestanden hat."
Und wieviel erst, so Fernau, hat Deutschland sich selbst später dann zuzuschreiben, genau weil es diesen Weg eingeschlagen, genau diese Stunde der Geschichte so selbstsüchtig-kleinlich versäumt hat. Denn in der beginnenden Renaissance ... wurde die Welt aufgeteilt. Aber Deutschland war nicht dabei. Es machte die bahnbrechenden Erfindungen, die eine neue Welt vorbereiteten - den Globus, das Schießpulver, den Buchdruck, die Taschenuhr. Aber es war weltpolitisch abgemeldet, Spielball und Zankapfel europäischer Mächte, auch habsburgischer Eigensucht. Und während es sich in Wohlstand und Bürgerglück suhlte, bemerkte es nicht, daß es politisch auf ein Nebengleis rutschte, bis es ein furchtbares Erwachen gab ...
Joachim Fernau in "Deutschland, Deutschland über alles ..."
*150410*