Die
FAZ - gewiß nicht im Geruch, Panikstimmungen zu befördern - bringt einen nüchternen Artikel, des Inhalts, daß in Deutschland die offiziellen Schuldenstatistiken unbequeme Wahrheiten gerne verschweigen. Und so muß man in Deutschland vom FÜNFFACHEN der ausgewiesenen Schulden ausgehen, mit denen das Land, der Staat, in der Kreide steht.
Dasselbe läßt sich von den USA sagen, wo die tatsächlichen Verbindlichkeiten des Staates das ELFFACHE eines durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukts eines Jahres beträgt. In Deutschland liegt dieser Faktor nicht wie angegeben bei rund 0,6 bis 0,8, sondern in Wirklichkeit bei etwa drei Jahres-Brutto-Inlands-Produkten. Im Klartext: Drei Jahre müßten wir (die USA elf Jahre) AUSSCHLIESZLICH dafür arbeiten, um nur bereits bestehenden Staatsschulden (nicht gerechnet: Länder, Gemeinden, Private ...) abzutragen, und bereits bestehende Verpflichtungen zu erfüllen.
Daß die Lage in Österreich sich nicht unterscheidet, liegt auf der Hand - und für die gesamte EU kann davon ausgegangen werden, weil die EU-Kriterien bestimmte Bilanzierungsmaßnahmen zum einen vorschreiben, zum anderen gestatten. Und weil die EU Bedarf hat, sich nach außen möglichst gut, zumindest kontrolliert darzustellen - es geht ja auch um die Auswirkungen des Images unter anderem auf den Kurs des Euro.
In Wahrheit also stehen alle diese Staaten um keinen Deut besser da, als das vielgescholtene Griechenland, das seinen indiskreten Kassensturz derzeit erlebt, und von dem es heißt, daß es "pleite" sei. Und dem noch dazu "Falschinformation" vorgeworfen wird: das Land habe seine wahre Lage verheimlicht.
Nichts anderes geschieht bei uns.
Wie und warum das geschieht? Weil die allergrößten Verbindlichkeiten des Staates elegant in die Zukunft geschoben werden und wurden. Damit wird bewußt verschleiert beziehungsweise nicht zur Kenntnis genommen, was auf künftige Generationen - durch den demographischen Schock, den zur Kenntnis zu nehmen immer noch politisch unmöglich ist - tatsächlich zurollt. Diese Wahrheit dem Volk zu sagen würde nämlich heißen, daß man zugleich Konflikte auszutragen hätte, deren wirkliches Ausmaß nur in wilden Spekulationen erahnt werden kann, die aber in die Schemata ideologischer Volksbeglückungen, wo zu sein hat was sein soll, nicht passen: die Verheimlichungen, um nicht zu sagen Lügen, unter denen wir stehen, zeigen ja, in welchem Ausmaß hier Ängste herrschen. Und es ist die Angst vor dem Öffnen jener Türe, hinter der es mehr und mehr rumort, die aber mit aller Gewalt verschlossen gehalten werden soll - denn dahinter, da lauert er, der Schwarze Mann ... Kenntnisnahme der Realität kann und muß aber heißen, all die ideologischen Volksveränderungsmaßnahmen augenblicklich aufzugeben, weil sie in Wahrheit Selbstmord sind, und bisher als Heilmittel verkaufte Rezepte schlicht und ergreifend nicht funktionieren.
Der, der solches gebetsmühlenartig seit Jahren sagt und publiziert, ist hier kein "rechtes Arschloch" europäischer Provenienz, und auch kein Bush-Fanatiker, sondern ein höchst angesehener amerikanischer Wirtschaftsforscher. Der seit Jahren vor der demographischen Katastrophe warnt, und dessen Schriften wegen ihrer analytischen Brillanz in Wissenschaftskreisen hoch geschätzt sind: Laurence Kotlifkoff. Die FAZ zitiert ihn unter anderem wie folgt:
Seit den achtziger Jahren untersucht Kotlikoff, wie nachhaltig die Staatsfinanzen angesichts des demographischen Wandels sind. Er hat dazu das Verfahren der Generationenbilanzen entwickelt, das für unterschiedliche Altersgruppen ihre Steuer- und Abgabenbelastung ausrechnet. Wenn immer weniger Junge für immer mehr Alte die Gesundheitskosten und Renten zahlen müssen, steigt die Belastung. Der Staat macht Leistungsversprechen, die nicht durch die künftigen Einkünfte gedeckt sind. „Vor allem die Gesundheitsausgaben sind außer Kontrolle“, warnt Kotlikoff. Sie sind über Jahrzehnte durchschnittlich um zwei Prozentpunkte schneller gewachsen als die Wirtschaftsleistung. „Die Lücke weitet sich aus und ergibt über die Jahre einen gewaltigen Fehlbetrag. Das ist fiskalischer Kindesmissbrauch“ - so drastisch formuliert es der Ökonom.
Zur Situation in Deutschland schreibt die FAZ weiter:
Auch in Deutschland werden finanzielle Lasten auf die junge Generation abgewälzt. Allerdings erscheine die Lage - trotz der noch schnelleren Alterung der Bevölkerung - nicht ganz so schlimm wie in Amerika, sagt Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg, der die ökonomische Generationenbilanzierung in Deutschland etabliert hat. Nach seiner Berechnung lag die „Nachhaltigkeitslücke“ in den Vereinigten Staaten 2004 beim Vierfachen des BIP und sank danach merklich. In Deutschland betrug sie damals etwa die Wirtschaftsleistung von drei Jahren. Diese Größenordnung bestätigt auch der Regensburger Finanzwissenschaftler Wolfgang Wiegard, Mitglied des Sachverständigenrats. Dieser hat in seinem Gutachten 2003 die implizite Staatsschuld auf 270 Prozent des BIP beziffert.
Zwischenzeitlich hat sich die Lage etwas entspannt. „Derzeit beträgt die implizite Verschuldung des deutschen Staates etwa das Zweifache des BIP“, sagt Raffelhüschen. Der unsichtbare Schuldenberg ist damit dennoch gewaltig: fast dreimal so groß wie der offiziell ausgewiesene, der in der Wirtschaftskrise auf 73 Prozent des BIP gestiegen ist. In absoluten Zahlen heißt das: Zu den 1,7 Billionen Euro offizieller Schuld kommen rund fünf Billionen Euro verdeckte Verschuldung.
Was aber könnte man tun? Die FAZ meint: man muß radikale Einschnitte vornehmen. Aber wie?
Um sowohl die offene als auch die verdeckte Schuld langfristig zu tilgen, müsste der Staat entschieden das Ruder herumwerfen: Entweder müsste er die Einnahmen aus Steuern und Abgaben dauerhaft um zwölf Prozent erhöhen, haben Raffelhüschen und Stefan Moog errechnet, oder er müsste sämtliche Transfers um fast elf Prozent senken. Der öffentliche Aufschrei wäre laut, wenn alle Sozialleistungen um mehr als ein Zehntel gekürzt würden. Zumindest bei der Rente ist genau dies geschehen.
Eine finanzielle Zeitbombe sind dabei die Beamtenpensionen (Hinweis: in Österreich ist der Anteil der im öffentlichen Sektor Beschäftigten - also auch alle Beamten - noch einmal um ein Drittel höher als in Deutschland.)
Dagegen ticke bei den Pensionen noch eine finanzielle Zeitbombe, sagt Raffelhüschen. „Allein die Beamtenpensionen bedeuten 800 bis 900 Milliarden Euro implizite Staatsschuld für die Bundesländer.“
Abschließend schreibt die FAZ:
Laurence Kotlikoff gibt gerne zu, dass seine Berechnungen der unsichtbaren Schuldenberge nur grobe Schätzungen sind. Aber die Größenordnung stimme. Weniger empfindlich auf makroökonomische Variablen reagieren die Rate der Steuererhöhungen oder die Transfersenkungen, die notwendig wären, um die Nachhaltigkeitslücke zu schließen. Die Haushalte der Finanzminister sind gegenwartsbezogen. „Das hat keine ökonomische Basis“, sagt Kotlikoff. „Sie haben den größten Teil ihrer Schulden nicht in den Bilanzen. Das ist in etwa so, wie wenn Sie mit dem Auto durch New York fahren und sich an einem Stadtplan von Los Angeles orientieren wollen.“
*260410*