Die psychologische Reflexion, die sich auf die innere, die Motivation der Handlung bedingende Grundverfassung des Daseins richtet, kann die Liebe als Quelle der Spontaneität nicht erreichen, weil sie selbst die Manifestation jenes "Interesses" ist, das in der Liebe überwunden wird. Spontaneität und Reflexion schließen einander aus.
Gegenwärtigkeit der amour pur (der selbstlosen Liebe, Anm.) für die Reflexion ist nur eine Illusion des amour propre (der Eigenliebe, Anm.) So lange die Liebe die gegenständliche Form einer für die Reflexion antreffbaren Zuständlichkeit, also zum Beispiel die Form des Gefühls hat, ist sie nicht jene reine Spontaneität, die sich zwar im Vollzug ihrer selbst bewußt ist, aber sich jeder Vergegenständlichung durch Introspektion entzieht.
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Die Förderung der Bedeutung des Gefühls aus der Gottesbegegnung, das noch dazu sehr leicht zum "Maßstab" der Sittlichkeit wird, hat furchtbare Folgen, schreibt Fenelon einmal. Die Reflexion auf dieses Gefühl schiebt sich mehr und mehr in den Vordergrund, bis die Feststellung des Gefühls selbst zum Mittelpunkt der Reflexion wird, die sich mehr und mehr auflöst. Das führt langfristig zu einer völligen Entfernung von Gott.
Weil dies die religiöse Situation des Frankreich des 17. Jhds. kennzeichnet, sagt Fenelon eine völlige Entfernung von Gott voraus - und hat auf gespenstische Weise recht: seine Prophezeiung erfüllt sich im 18. Jhd.
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