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Samstag, 27. Juni 2009

Ein Satz wie eine Bombe

In seinem Essay über Toynbee, über die Lebensphasen von Kulturen, über Byzanz, das im osmanischen Reich seinen Körper aufgelöst hat und deshalb in unserem Bewußtsein so wenig präsent ist (sieht man von ihren Resten in der russischen Kultur und Orthodoxie ab), schreibt E. R. Curtius in einer Fußnote einen Satz, der wie eine Bombe erschüttert, weil er den wesentlichen Moment des Schöpferischen einfordert, dabei eigene Dekadenz bewußt macht: Daß Kultur den Willen zur positivistischen Tat braucht.

"Selbstausdruck ist nicht Schöpfertum!"

Selbstausdruck an sich ist statisch und unfruchtbar, bedeutet ferner den Verzicht auf Deutung, auf Einordnung in einen Sinnhorizont. Gerade in den Erzeugnissen der Kunst ist dies deutlich beobachtbar.

Curtius schreibt in diesem Essay übrigens weiter: In der letzten Phase einer Kultur, der Auflösung, die dem Niedergang folgt, hat der Einzelne im sozialen Verhalten nur noch die Wahl zwischen Mimesis (der Anpassung unter Selbstauflösung), und dem Martyrium.

(Nur in letzterem übrigens kann jene Klammer überleben, die Revolte mit Altem zur Zukunft verbindet.)

Unterscheidbar in je aktive und passive (persönliche) Tendenzen, zeigen sich in dieser Auflösungsphase Tendenzen von Archaismus (Beschwörung der Geister der Ahnen im "zurück zu"), und Futurismus (vergleiche die ständig neuen "Weltkatastrophen- und -rettungsideen"), in den Polen "Schuldbewußtsein" und beiden gemein ist die Flucht aus der Gegenwart, womit sie die Auflösung manifestieren, anstatt sie zu lösen. Während der Archaismus (der Begriff ist von Toynbee) einen Rückschritt zur Primitivität bringt, ergeht sich der Futurismus in Vermeidung der Passivität in die sinnlose Bewegung des Hamsters im Tretrad.

Im Sozialgefühl geht jedes "Stilgefühl" verloren, wie es einer wachsenden Kultur innewohnt. Die Seele überläßt sich der Formlosigkeit, und "im Schmelztiegel der Promiskuität" (cit. Toynbee) vermischen sich unvereinbare Traditionen und Werte. In Religion und Philosophie wirkt sich das als Synkretismus aus. Dem steht (im aktiven Part) das Streben nach einem Einheitsstil, einer Einheitsform entgegen, die das Chaos im Einzelnen durch eine kosmische (Zwangs-)Ordnung ersetzen will.

Dies alles auf der Grundlage eines "quälenden Gefühls des Versagens" als beherrschendem individuellem Empfinden.

[Was sich mit der hier schon mehrmals untermauerten Analyse trifft, daß das größte heutige Problem jenes der unbewältigten Schuld ist: Unser Leben besteht nahezu ausschließlich bereits aus Mechanismen der Schuldverdrängung statt -bewältigung (die nur durch Verzeihung möglich ist - ohne Religiosität ist Bewältigung also unmöglich)].

Im geistigen Bereich - um dieses Thema an dieser Stelle abzuschließen - findet Toynbee die Analogie in den beiden Polen "Apathie" (in Herstellung von "Unverwundbarkeit" - vom Mystizismus bis zur Stoa, buddhistische Auflösung etc., aber als Verzicht auf Selbstbestimmung auch durch die Betonung der Extreme "Zufall" und "Notwendigkeit") und "Verklärung."

Letztere, im Verbund mit der Loslösung eher dem futuristischen Aspekt (des Aktiven) entsprechend, ist ein Weg zu einem tatsächlichen geistigen Wandel, und sohin dem mythischen Schema "Rückzug und Wiederkehr" gleichzustellen - Rückzug in die Wüste, und Wiederkehr auf veränderter Basis.




*270609*