Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 6. Juni 2009

Weil alle lieber im Trüben fischen

Nun tauchen Meinungen auf, denen gemäß Polen sogar ("die") Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hätte ... Das kommt diesmal aus Rußland, übrigens. Die (abgesehen von den historischen Spannungen mit Polen) am freiesten mit der Frage nach der Kriegsschuld umgehen. (Die Auffassung, daß der Angriff Deutschlands auf Rußland im Juni 1941 ein Präventivschlag war, kommt aus Rußland, wo sie nach Einbeziehung der "geheimen Archive" historischem Forschungsstand entspricht.) Weil dort die verschiedensten Interessen, mit denen Geschichtsforschung betrieben wird, sofern sie mit solchen Interessen (Historie ist ja immer ein Belegen, was sonst; also stets eine Frage der Weltanschauungen) betrieben wird, einander wiederstreiten, und das auch dürfen.

Womit wir beim Thema wären. Denn was wir hierzulande immer nur an solchen Ereignissen (wenn zum Beispiel in Rußland solche Thesen auftauchen) bemerken, ist, daß unser Geschichtsbild gerade über jene Zeit ("Hitlerismus") in höchstem Maß feststeht. Aber kann es auch ausreichend erklären?

Das läßt sich nämlich hinterfragen. Denn die Ansichten, gerade im "breiten Volk", über diese Zeit, gehen weit auseinander. Man muß allerdings unterscheiden: zwischen "offiziellen", gelehrten wie öffentlich verkündeten Ansichten, und privaten Meinungen, den Meinungen des einfachen Mannes, wie man gerne unterscheidet. Dabei verläuft die Trennungslinie aber woanders: Jene, die nach Erklärung suchen, und jene, die erklären können. Meinen zu können. Und dabei nicht bemerken, wie sehr sie die Interessen einer Ideologie vertreten.

Weil Geschichtsinterpretation hierzulande von einer politischen Gruppierung regelrecht okkupiert wurde. Und dieser politischen Richtung, die sich gerne als "Funktionselite" begreift, die nach solchem Verständnis auch die eigentliche gesellschaftliche Elite darstellt, ist es höchst genehm, die Geschehnisse dieser Zeit den Grundsätzen ihres Weltbildes gemäß zu erklären.

Deshalb braucht - die Linke, nennen wir das Kind beim Namen - einen rationalen Hitler! Deshalb braucht sie das Vorgehen Nazi-Deutschlands eingebettet in einen Kranz "nachvollziehbarer", weil ideologisch erklärbarer, Ursachen und Wirkungszusammenhänge. Die im letzten im bösen westlich-abendländischen (und das bedeutet: patriarchalen) System an sich liegen.

Aber genau so lange diese Geschichtsklitterung vorherrscht, genau so lange wird über dieser Zeit ein seltsamer Nebel liegen. Genau so lange wird es ständig wieder zu mal diesen, mal jenen Ansichtenstreits kommen. Denn alle diese Ansichten nützen den Umstand, daß viele vereinzelte "Körnchen Wahrheit" - hier: das Verhalten Polens in der Zwischenkriegszeit war unter bestimmten Aspekten keinesfalls einfach "jungfräulich", aber was hätte man an Alternativen gehabt? Und man hat auch Fehler gemacht, ganz klar, auch weil Polen sich neu und ziemlich künstlich erfinden mußte, der historische Strom war salopp formuliert "abgedrückt"; an sich aber kann man fragen, ob Sachen wie "Teschener Land" notwendig waren ... - für alle möglichen Theorien verwendbar bleiben.

Weil sie bis zum heutigen Tag in kein wirklich umfassend befriedigendes, erklärendes Gesamtbild eingebettet sind.

Das verhindert die Linke nämlich auch konsequent, gerade indem sie ein Erklärungsmodell (sogar: per Sanktionierung) verlangt und propagiert. Denn die Linke macht - zeugt, schafft - sich, gemäß ihrem inneren Wesen: sie ist eine Charakterdeformation - ihre Gegner selbst. Ihre Ansichten haben sohin simpel selbsterfüllenden Charakter. Ein Erklärungsbild, das nicht ihrem Weltbild zuspielt, wird so schlicht verhindert. Und das ist in diesem Fall so!

So wird Hitler's Politik außen wie innen konsequent (eine ganz bestimmte) Rationalität unterstellt. Wird konsequent sogar unterstellt, Deutschlands Politik unter Hitler stünde in einer kontinuierlichen historischen Linie, die an das Vorher anknüpfe.

Aber bei intensiver Beschäftigung mit diesen Themen zerfällt diese These. Sie erklärt nämlich nahezu gar nichts wirklich. Wo immer historische politische Linien auftauchen, die scheinbar fortgeführt wurden, muß man sie nämlich als das sehen, was sie für Hitler waren: Chancen. (Man beachte alleine die Verwendung des Wortes "Vorsehung" durch ihn: als Leitstern) Nicht mehr.

Mit "echten" Motiven hat Hitler seinem politischen Handeln lediglich Rationalität unterschoben. Sein Verhalten selbst, und das seiner wesentlichen Figuren (unter anderem Ribbentrop), war hingegen völlig widersprüchlich! Das konnte auch gar nicht anders sein.

Denn der Nationalsozialismus war alles andere als eine homogene, in sich stimmige Theorie oder Ideologie! Er war ein rohes, in sehr vielem widersprüchliches Mischmasch ungeklärter, oft genug diffuser, krankhafter (auch das), dann wieder evidenter, ja an sich richtiger (ja, auch das) Einzelgedanken und -thesen. Das zeigt sich alleine an seiner Kompatibilität mit dem Kommunismus, den zu bekämpfen er vorgab. (Selbst Stalin war dieser Meinung!)

Ein Konglomerat aus Zeitströmungen, Emotionen, Ansichten, Theorien ... also, an dem lediglich eines klar war: er hat sich GENAU DURCH SEINE IRRATIONALITÄT hervorragend geeignet, um Wahnsinnigen freie Bahn zu geben, ihren Wahnsinn auszuleben. "Der" Nationalsozialismus war ein Mäntelchen, unter dem eine politische Struktur aufgebaut werden konnte, die sich je länger desto deutlicher als dämonischer Wahnsinn entpuppte. Der Nationalsozialismus war - auf den Punkt könnte man es bringen - eine reine Funktionsstruktur. (Man sehe sich alleine den aberwitzigen Zuständigkeitswirrwarr an, der in allen Organen herrschte, die mit der Partei zu tun hatten!) Seine Macht konnte der Nationalsozialismus genau dadurch nur aufbauen wie behaupten: weil er unvernünftig war, mußte er sich nie rechtfertigen, und war damit unwiderlegbar weil total anpaßbar. Das war auch schon das einzige "Totale", das er war. Aber schon alleine mit heutiger Gesellschaftspolitik verglichen, müßte man blaß werden: denn die Parallelen mit dem heutigen "Sozialstaat", die Modernität des Hitlerstaates also, jagt einem Schauer über den Rücken.

Eine solche Irrationalität aber können sich Russen, die noch dazu so viele Jahre das linke Geschichtsbild inhaliert hatten, gar nicht vorstellen. Für sie muß das Handeln ihrer (damaligen) Gegner rational gewesen sein. Denn die Politik Stalins war es. Stalin war ganz klar rational, hatte ein Ziel, und er verfolgte es konsequent. So konsequent, daß er sogar den Westen in den Verhandlungen über die Nachkriegsordnung laufend überrumpelte. Weil ihm eine Niederwerfung Deutschlands keineswegs fundamentalstes Ziel gewesen war, wie dem Westen - bloß das vordringlichste, als Mittel zum Ziel. Wieder waren es die Engländer, war es Churchill, der das als einziger erkannt hatte.

So wie es auch die Engländer 1938 waren, die als erste kapiert hatten, daß Hitler und damit Deutschland nicht berechenbar, sondern irrational war. Und so wird auch das Verhalten Englands Polen gegenüber rational, nicht "kriegshetzerisch" - lediglich schrecklich nüchtern. Selbst wenn der Anlaß seltsam erscheinen mag. Im Umgang mit dem Irrationalen aber ist es so, daß man eine Weile braucht, um die Vernunftunfähigkeit des anderen zu begreifen, und schließlich anzunehmen. Damit spekuliert ja der Unvernünftige (so sich Böses längst mitmischt): daß der "Anlaß" für den Vernünftigen zu klein und zu "irrational" scheinen könnte, weil zum Vorher wie Nachher in Bezug setzt, herausgenommen, für sich stehend. Rationalität ist hier aber längst ein Heraustreten aus dieser historischen Kette, in einer Rückkehr zum Prinzipiellen.

Solange wir hier, in Österreich, in Deutschland, nicht die Einsicht zulassen, daß es so war, oder: gewesen sein könnte, solange, wird diese Zeit ein nie endender Herd abstrusester, nie eingrenzbarer Thesen, Ansichten und Motiven bilden, aus denen sich weitere Irrationalitäten und Dämonien nähren.

Aber nicht nur der Linken nützt ein solches Interpretationsdiktat, das nichts erklärt, sondern alles möglich macht. Auch nämlich allen möglichen abstrusen Vereinigungen, und gar Konservativen, scheint diese irre Zeit zum Beleg mancher These gerade recht zu kommen.

Aber die Linke profitiert zweifellos am meisten, weil sie in dieser historischen Interpretation eigene Legitimation auszuweisen behauptet.

Selbst das gesamte Problem des echten "Rechtsradikalismus" (der sehr sehr selten ist!) hat aber wesenhaft damit zu tun: Alle fischen nämlich lieber im Trüben. So hat ein Geschichtsbild Platz, das als Motiv historische Verkettungen vorgaukelt, die die (bloß charakterlich fundierte) Gegenwart verschleiern, aber vor allem: den Status quo legitimieren soll.

Man muß Hitler als das sehen, was er war: ein wirklicher Psychopath. Erst in diesem Licht beginnt sich diese damalige Zeit zu erhellen. Seine Politik war wesenhaft irrational, nur scheinbar und bestenfalls in Ansätzen dort vernünftig, wo es ihm in den Kram paßte. Und dieser "Kram" war in einem Ausmaß "persönlich", daß wir's uns kaum vorstellen können. Der Mißbrauch der Sprache war dazu wesentlichstes Instrument. In diesem Punkt unterscheidet sich nichts mehr von heute. Nur die Rechtfertigungsmodelle haben sich verändert. Der Nationalsozialismus hat die Instrumente heutiger demokratischer Politik, die in höchstem Maße auf dem Mißbrauch der Sprache beruhen (vor allem durch "Äquivokation" - NLP zeigt es vor) nicht nur aber längst ausgelotet, er hat sie regelrecht erfunden.

Solange das nicht akzeptiert wird, solange aber vor allem die Linke nicht aufhört, ihr Geschichtsinterpretat um jeden Preis durchsetzen um als politischen Hebel nutzen zu wollen, solange insgesamt so viele Gruppen und Personen ein reges Interesse daran haben, diese Zeit 1933 bis 1945 eigentlich im Dunklen des Dämonischen zu halten - solange wird dieser Dämon seine zeugende Kraft nicht und nicht verlieren.

Und das heißt in diesem Falle das historisch so Unfaßbare als wirklichen Ausfluß von Irrationalität und Dämonie zu begreifen.

Dann aber kann man auch erfassen, wie eng in heutigen politischen Konstellationen persönliches Tun mit Charakter und Absichten von Einzelnen zu tun hat. In der Zerstörung der Staaten 1918, vor allem aber: der Kultur, hat sich in Hitler ein Menetekel an die Wand geschrieben. Er hat das langfristige, zu ahnende Schicksal Europas - wie es seinem Charakter entsprach - in geraffter Form darstellend lediglich ein für alle Mal vorwegzunehmen versucht.

So erfaßt, wird diese Zeit plötzlich zu einem wirklichen Lehrbeispiel der Geschichte. Wo jedes "nie wieder" erst glaubwürdig, aber völlig anders, wird.




*060609*