Kriegsopfer werden da mit Verkehrsopfern, Opfern ungerechter Gewalt oder Katastrophenopfern in einem Atemzug genannt. Die Konnotation der freiwilligen Hingabe auf irgendeinem Altar (wie Iphigenie, Anm.) und sei es dem des Vaterlandes ist fast ganz verschwunden, damit auch der Gedanke, man schulde irgend jemandem Dank oder Bewunderung, dem Opfernden, weil er etwas von sich, dem Opfer, weil es etwa gar sich selbst geopfert hat.
Gewiß, wir werden weiterhin aufgerufen, etwas für andere herzugeben. Aber man spricht da lieber von Spenden oder von Solidaritätsbekundungen. Wo stattdessen von "aufopfernder" Hilfe, Pflege oder Fürsorge die Rede ist, da stellt sich eher ein gewisses Mitleid oder aber Skepsis sein, der Verdacht, hier werde jemand ungebührlich ausgenutzt. Und wenn er sich ausnutzen läßt, so zögert man, ihn zu loben. Er ist eher so etwas wie ein Streikbrecher in der großen Verweigerung, ein Deserteur im großen Kampf um das moralische Recht auf Selbstverwirklichung.
Rober Spaemann, "Bemerkungen zum Opferbegriff"
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Warum aber diese Sakralisierung? Aus einem Zusammenfließen der verschiedensten Ansätze, von Kant zu Girard, tippt Spaemann den wohl plausibelsten, fast dann banal wirkenden Grund an: im Opfer (samt allen Verweisen auf Sündenbockhandlungen, dem Ausliefern einiger also, oder der Bereitschaft dazu, um alle zu retten) - dem sakralisierten "Holocaust"-Ritual - exculpiert sich ... der ganze Staat, die Staatsgewalt an sich, in ihrer Gründungsschuld.
Und weil das Opfer immer Verzichtsbedeutung hat, so opfert die Staatsgewalt als Hohepriester das eigentliche, zuinnerst Konstituierende eines Staates selbst: seine historisch gewachsene Identität, das Eigensein, das ein Sein aus Wurzeln ist. Ein immer wieder zu erneuerndes Opfer, weil es nur in der totalen Selbstvernichtung aufgehen würde.
Und weil das Opfer immer Verzichtsbedeutung hat, so opfert die Staatsgewalt als Hohepriester das eigentliche, zuinnerst Konstituierende eines Staates selbst: seine historisch gewachsene Identität, das Eigensein, das ein Sein aus Wurzeln ist. Ein immer wieder zu erneuerndes Opfer, weil es nur in der totalen Selbstvernichtung aufgehen würde.
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