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Samstag, 28. Februar 2015

Geschichte der Geschichte von der Inquisition (2)

Teil 2) Propaganda ändert den Geschichtslauf eines Kontinents + Der BBC-Film




Dieses katholische Spanien war eben die globale Supermacht des 16. und 17. Jhds., ein Riesenreich, mit finanziell schier unbegrenzten Mitteln, die es den Strömen von Gold und Silber und riesigen Gewinnen aus dem Handel verdankte, die den überseeischen Besitzungen zu verdanken waren. Der Bankrott Spaniens im 17. Jhd. führt sich sogar auf diese inflationären Goldmengen zurück, der keine Produktivität mehr gegenüberstand, weil niemand mehr arbeiten mußte. 10 % der Bevölkerung war überhaupt ins Kloster gegangen, und wer etwas durch Leistung erreichen wollte, ging nach Übersee, wo jeder Mann gebraucht wurde und es an Aufgaben nicht mangelte.

Eine Macht, die es zu zerstören galt, deren Feinde - und damit Unterstützer jeder Form von Bekämpfung, also auch der Verleumdung - zahlreich waren und vor keinem Mittel zurückschreckten. Bis hin zu Lügenlegenden wie jene des von König Philipp II. angeblich ermordeten eigenen Sohnes Don Carlos, die sich über Bühnenwerke bis in unsere Tage (Filme!) als brauchbares Vehikel eines recht neuzeitlichen (quasi sogar "demokratischen") Revolutionsgeistes so verbreitet hat. Wie ja überhaupt unser Bild von der Vergangenheit extrem von einer jede historische Wahrheit völlig auf den Kopf stellenden Propaganda revolutionärer Bewegungen der Neuzeit geprägt ist. Wie sehr, ist uns überhaupt nicht bewußt, denn wer ist schon an einer historischen Wahrheit interessiert, die die Wohltaten der Gegenwart als Selbstbelügung entlarven würde? Diese Gegenwart lebt nachgerade von einer dämonisierten Vergangenheit, woraus sie ja die Legitimation für "Neuerungen" schöpft. 

Den größten politischen Coup landete die Gegenpropaganda freilich, als sie im 16. Jhd. durch Flublätter die Lüge verbreitete, Spaniens Inquisition würde gar die Vernichtung aller häretischen Bevölkerungen Europas betreiben. Damit wurde die Haltung ganzer Länder Spanien gegenüber maßgeblich beeinflußt.

Aber Inqusitionsbeamte waren universitär ausgebildete Rechtsexperten, oft nicht einmal Priester! Sie als fanatische, dunkle Kleriker darzustellen, denen es nur um grenzenlos sadistische Folter ging, die jeden staatlichen Henker um Längen übertraf, war eine bewußte Verleumdung, die sich in einer Art Verschwörungstheorie versiegelte. Aufgrund der Probleme des Riesenreiches entwickelte sich die spanische Rechtswissenschaft seit dem 16. Jhd. so, daß sie dem Rest von Europa um Jahrhunderte vorauseilte. Nicht zuletzt wurde in Spanien ein Völkerrecht entwickelt, das in seinen Grundzügen bis heute als maßgebend angesehen wird, und noch 200 Jahre später französisch-englische koloniale Rechtsfindung in den Schatten stellte.
Daß die Inquisition also sogar einen enormen Rechtsfortschritt markierte, und ihre Motive keineswegs im Dunkel bösartiger Priestermacht liegen, beweist alleine die penible schriftliche Dokumentation, die für jeden Fall angelegt wurde, und eine Aufarbeitung auch heute möglich macht.*   

Tatsächlich wurde, wie historische Forschung ergibt, die Folter nur sehr selten eingesetzt. Alleine von den 7.000 Úntersuchungsfällen in Valencia (über all die 350 Jahre) wurden nur knapp 2 % auch der Tortur unterworfen, die nie länger als 15 Minuten dauerte, die nur bei der Hälfte auch wiederholt wurde. Keinen einzigen Fall gab es, wo sie aber öfter als zweimal eingesetzt wurde. Im übrigen war Follter ein in ganz Europa bis ins 18. Jhd. übliches Befragungsmittel, das sich weit exzessiveren Gebrauchs erfreute, als durch die Inquisition. Die Aktenlage ergibt eindeutig, daß die Inquisition die Tortur deutlich weniger einsetzte, als jede staatliche Rechtssprechung, die sich gerne uns heute unfaßbar grausamer Mittel aus nichtigsten Anlässen bediente.

Dazu kommt, daß schon die rein personell dürftige sowie die damals mangelhafte technische Ausstattung (Reisemittel, oder das schlechte Straßennetz der damaligen Zeit), dazu das komplexe Geflecht von Privilegien und gesellschaftlichen Sonderrechten unter der städtischen Bevölkerung, Macht und Einfluß der Inquisition sehr beschränkt hielten. Außerdem traf sie (nicht zuletzt durch die Gerüchte und Verleumdungen) immer mehr auf eine "Mauer des Schweigens" in der Bevölkerung. Die heutige Vorstellung, sie hätte die gesamte spanische Gesellschaft in der Hand gehabt, ist völlig unhaltbar: ihr fehlten Mittel, Machtstellung und Möglichkeiten. Schon gar nicht konnte sie Herrscher beherrschen.

In Spanien gab es weniger Verurteilungen wegen Häresie, als im gesamten übrigen Europa, und außerhalb von Spanien gab es überhaupt nur ganz wenige Verurteilungen aus diesem Grund. Nirgendwo hatten Verdächtige rechtlich derartig "saubere", redliche Verfahren zu erwarten. Alleine in England oder Frankreich gab es je das Vielfache an Todesurteilen wegen Glaubensabweichungen.

Die spanische Inqusition war regelrecht "human", und lehnte die meisten der in Europa öffentlich üblichen Methoden strikt ab. Sie regelte in Instruktionen peinlich genau, welches Mittel wie eingesetzt werden durfte. Selbst die Gefängnisse der Inquisition waren die "besten" von ganz Spanien, ja sie weigerte sich oft sogar, staatliche Gefängnisse weden der dortigen furchtbaren Haftbedingungen zu nutzen, wenn sie keine eigenen hatte. Es gab Fälle, so die BBC-Dokumentation, in denen Häftlinge in öffentlichen Gefängnissen absichtlich Blasphemien äußerten, um in die Gefängnisse der Inquisition überstellt zu werden. Während umgekehrt nicht wenige Inquisitionsbeamte die Sinnhaftigkeit von Folter überhaupt anzweifelten, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Vorwürfen der Hexerei, die im Volk eine große Rolle spielten, stand sie sogar grundsätzlich sehr kritisch, ja ablehnend gegenüber, war auf jeden Fall ihrer Rechtsbildung gemäß beweisorientiert. Und lehnte Hexenglauben dann grundsätzlich als Wahn und Aberglauben ab.

Bis spätestens im 18. Jhd. die Inquisition völlig nebensächlich wurde, und sich um Dinge wie Alkoholismus oder "Schwören in einer Kirche" befaßte. Die gesellschaftlichen Veränderungen Europas hatten auch in Spanien längst zugeschlagen. Als die Propaganda ihren Höhepunkt erreichte, im Frankreich der Revolution des 18. Jhds., war die Inquisition schon völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, bis sie im 19. Jhd. offiziell aufgelöst wurde. Aber der Mythos der Inquisition wurde wieder und wieder bemüht, als Symbol für Unterdrückung und Despotie, die durch ein moderneres, aufgeklärteres Europa besiegt werden mußte. Bis sie, bis dieser Mythos in den Systemen des Kommunismus sowie im Amerika der 1950er Jahre erstmals jene furchtbare Gestalt annahm, die man zuvor als instrumentalisierbaren Inbegriff des Schreckens ... erfunden hatte.







*Niemand Geringerer als Heimito von Doderer, ein Historiker im buchstäblichen Sinn, übrigens, nicht nur im metaphorischen als Schriftsteller, meint, daß aus seiner Beschäftigung damit allfällige Mißbräuche vor allem dort auftragen, wo persönliche Süppchen gekocht wurden, mit nicht seltem sexuellem Hintergrund.
**Internet, Twitter, social media sind deshalb als weitere Zuspitzung dieser Frage keineswegs "neutrale Möglichkeiten", sondern bewirken einen neuen, gewaltigen Protestantisierungsschub. Und zwar wie der Buchdruck durch die Natur ihres Selbstseins, keineswegs einfach durch "verbalisierte Inhalte". Darüber wurde hier schon eingehend gehandelt. Aber noch mehr als beim Buchdruck, wird dies - ein schweres Versäumnis, nicht nur der Kirche! - nicht gesehen oder ausreichend rezipiert.
***Auch die Geschichte von der sogenannten "Päpstin Johanna" entstand in diesem Umkreis. Übrigens mit einer Motivation, die heutige Motive, diese Geschichte aufzugriffen, grotesk erscheinen läßt: Diese erfundene Geschichte sollte nämlich die Kirche deshalb desavouieren, unglaubwürdig machen, weil sie zeigen sollte, daß die Kirche so schlecht war, daß sogar Frauen den Papstthron erlangen konnten.
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