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Samstag, 8. Februar 2014

Autorität als Grund der Vernünftigkeit

Weil aber Erkenntnis (der Welt) nur möglich ist, wenn das zu erkennende Objekt in seinem So-sein gesehen wird, ist Erkenntnis nur möglich, wenn ich dem Objekt Autorität einräume. Nur, wenn das Objekt der Erkenntnis "sich selbst" frei im Erkennenden entfalten kann, kann der Erkennende seine Eigenschaften abnehmen. Die aber immer einen geheimnisvollen Rest enthält, weil der Verstand nur Allgemeines ablösen kann, das hinwiederum auf Objekte zurückgeht, die immer individuell sind. Individuelles aber kann nicht anders erkannt werden als durch personale Beziehung, es ist im Verstand nicht weiter auflösbar.

Daraus aber schließt sich weiter, daß es ein Erkennen ohne Offenbarung, ohne Geglaubtes, gar nicht gibt. Es ist das Erste, auf dem alle weitere Erkenntnis aufbaut. Denn Vernunft bedeutet ja das Herstellen (und Halten) der Beziehung zum Grund von allem, und das ist das Sein (Gott). Im Sein ist alles enthalten, was IST. Damit alles, was erkannt werden kann.

Unterliegt nämlich - wie es der Positivismus meint - dieses Erste, dieser Grund der Autorität des Erkennenden selbst, als (primär) "zu Setzendes", so schließt dieser sich vom zu Erkennenden ab. Denn das Objekt läßt sich nicht erkennen, wenn ich die Bedingungen seiner Erkenntnis, das Resultat damit, bereits vorgebe.

Ohne "Staunen" (mit einem anderen Begriff) gibt es also keine Erkenntnis. Es bedeutet jene Ergebnisoffenheit der Sinne zum einen, die die Objekte in den Erkennenden "einläßt", ohne Offenbarung zum anderen sind sie nicht in Wahrheit zu fassen. In diesem Sinne läßt sich das Sein (im Seienden) gar nicht erkennen, wenn sich das Sein nicht selbst offenbart.

Und das tat es ja auch. Im Alten Testament als "Jahwe" (="Das seiend Seiende", das "was das Sein als sein tätig sein läßt" - Sein als Akt), und dann im ultimativen Akt: mit der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus.*

Damit zeigt sich aber auch, daß es eine Vernunftoffenheit OHNE Vertrauen in die Tradition, in das Weitergegebene, gar nicht geben kann. Darin gründet das vordringliche Recht der Eltern, als Einzige, die Verantwortung für ihren Nachwuchs tragen können (und müssen), und das in der Regel in Liebe tun, für die Erziehung (zur Vernunft) ihrer Kinder zuständig zu sein. Und niemand darf sie darin einschränken oder zu ersetzen versuchen. 

Sinngemäß dasselbe läßt sich von den weltlichen Ordnungen ("Identität") sagen, in die ein Mensch bei der Geburt ja hineingeworfen wird. Weshalb er ja einen Namen VON dieser Ordnung erhält, weil er FÜR diese Welt etwas/jemand ist.

In einer sich von Gott entfernenden Welt, wie wir sie heute erleben (was einem Abschneiden vom Grund ist, der die Vernunft begründet), streiten zum einen die strukturell IMMER notwendige Angebundenheit an eine Autorität mit dem Anspruch, diese Autorität NICHT zu wollen. Was zu nichts anderem führt als daß die Menschen schlicht nicht mehr wissen, weil verdrängen, WEM sie glauben. Und damit in Verwirrtheit enden, weil sie keine widerspruchsfreie Wahrheit mehr kennen. Ja, im letzten zerfällt eine solche Gesellschaft in immer mehr und immer kleinere Sekten, die alle die Begründungen zum Inhalt haben, warum sie dieser oder jener Autorität (die ihre Erkenntnis begründet) glauben.

Das Konzept des "frei sich selbst entwerfenden Menschen" (Autonomismus) ist reine Illusion. Sie entspricht nicht dem, was der Mensch überhaupt ist. Ein Mythos, der wirklich NUR die Selbsttäuschung verschleiern soll.** Denn das Entscheidende in der Erkenntnis (und der Vernunft) ist eben eine persönliche Haltung. Insofern ist Vernunftverweigerung (bzw. Gottesverweigerung) immer persönliche Schuld.***

[Eric Voegelin führt diese Geisteswende, die im 11./12. Jhd. erstmals in großem Umfang in Europa erkennbar ist - damals traten erstmals die großen "mystischen Bewegungen" auf, die genau das zum Inhalt haben: die Autorität wird in die subjektive Erfahrung, dem eigenen Urteil eingesenkt -, genau darauf zurück: Auf das Verschieben des autoritativen Horizonts hin auf sich selbst. Damit wird das Selbstverständliche, Geglaubte, das autoritative Gefüge, das einem durch sein Bestehen Erkenntnis vermittelt, die Einbettung in einen Kosmos, zur "Idee", Erkenntnis zum subjektiven Gefüge, und Kosmos wird zur "Welt", in der der Mensch nur noch Funktion ist, weil alles Funktion ist. 

Was sich im 5. Jhd. VOR Christus erstmals als genau das, und zwar fast weltweit, zeigt: die kosmischen Ordnungen (die alten Reiche) zerbrechen, und die Philosophie, die Ideensysteme treten auf. Man denke nur an diew griechische Tragödie, wo mit einem mal und binnen zweihundert Jahren aus dem noch mit einem Bein kosmologischen Äschylos heraus die Entwicklung über Sophokles bis zum "intellektuellen", psychologischen Euripides (und von dort bis zur Satire und Komödie des Menander) folgt. Während sich die ekstatischen Kulte (derselben Setzung des Subjekts als Ort der Theogonie, der Gotteszeugung) etablieren. Wenn man nichts über die Geschichte Griechenlands wüßte - daraus könnte man sie erkennen.

Diese Verlegung des Grundes auf das erkennende Subjekt selbst ist der sicherste Weg, um dem Erkennen den Kontakt mit der Realität, die ihre Autorität verliert, abzuschneiden. Verstand wird zum entwurzelten Rationalismus, der immer weniger Realität enthält, zu einer zweiten Realität wird. Für Voegelin ist es aus seinen historischen Analysen heraus DIE Grundkrankheit des Abendlandes, die als Grundkonzept eines ganzen Kulturentwurfs wie in der Renaissance geschehen, einer puren Sackgasse, nur in Verwirrung und Irrationalismus enden kann. Die Philosophie Europas, ja die Wissenschaft seither ist gerade dort, wo sie innovativ sein will, nahezu eine einzige rhetorische Fluchtbewegung vor der immer dräuenderen weil immer unbekannteren Wirklichkeit.]




*Um diese Vernunft-Notwendigkeit wußten auch sämtliche Religionsstifter. Auch die Veden der Inder führen sich auf göttliche Offenbarung zurück, und das Wesen von Religion kann überhaupt nur sein, das Geoffenbarte zu enthalten und dem Menschen weiterzugeben. Die Frage kann nicht sein, ob es der Offenbarung bedarf, sondern ob die Quelle der Offenbarung WAHR ist. Das zu prüfen ist dem, dem geoffenbart wurde, aber nicht in der Lage. Er muß nämlich dazu JEMANDEM, einem realen Gegenüber glauben. Eine rein subjektive Erfahrung hebt nie über diesen Notstand hinaus. Der Glaubensakt dieser Art ist nie über die Selbstgebung enthoben, weil das Urteilsforum zugleich der Boden der Vernunft ist - eine Aporie, die nicht ohne menschliche Beimischung durch einen Willensakt - und damit NICHT Geoffenbartem - lösbar ist. Deshalb zeigt sich auch bei näherer Analyse in allen Weltreligionen ein menschlicher, bedingender, die Umfassendheit des Seins einschränkender Faktor im Gebäude der Wahrheit, der einer objektiven Prüfung durch den Verstand - als Widerspruchsfreiheit - nicht standhält. 

Die einzige Religion, die genau diesen Faktor übersteigt, ist tatsächlich der Katholizismus, der insofern die einzige "Nicht-Konfession" ist, weil er immer dem Sein gegenüber offenbleibt, die Erkenntnishaltung nicht einschränkt. Entsprechend sind die Vorwürfe, die ihm "als Religion" unterstellt werden, so gut wie immer von Personen entworfen, die selbst in solchen Einschränkungen gefangen sind, sodaß ihnen ein "System" der Offenheit der Vernunft (bzw. des Verstehens) gar nicht vorstellbar ist.

**H. v. Doderer meint deshalb einmal (in den "dDmonen"), daß Reife nur heiße, "auf sich selbst nicht mehr hereinzufallen".

***In den meisten Fällen - deshalb der Zusammenhang zwischen Kulturniedergang und Atheismus - ist dies schlicht auf Trägheit des Geistes (Acedia) zurückzuführen. Wo der Einzelne die geistige Konsequenz aus dem sinnlich Erkannten verweigert.





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