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Samstag, 1. Februar 2014

Der Diskussion entzogen

Zieht man die luciden Deutungen Eric Voegelins heran, erscheint die Geschichte der Moderne seit dem Mittelalter noch deutlicher als Geschichte der Neubildung von Eliten. Die von einer entscheidenden Wendung ausgeht: Vom subjektiven Berufungsgefühl (!) von Einzelnen.

Voegelin sieht dabei klar die Ursachen im Verlust der inneren (und damit äußeren) Stärke der kulturellen Institutionen, vor allem der Kirche. Denn das Aufkommen solcher Personen ist am sichersten mit der Suche nach einem Platz in der Gesamtordnung zu erklären. Die Reformation konnte sich vor allem deshalb so rasend schnell ausbreiten, weil sie keinen substantiellen Widerstand mehr antraf - den zu provozieren ja eigentlich die unausgesprochene Absicht war. Wie ein Magnet sammelten sich dabei alle möglichen Formen von Unzufriedenheit an ihren Enden.

In Luther und seiner Berufung auf den Einzelnen als letztgültige Deutungsinstanz endgültig entfesselt, in Calvin in ein gesellschaftliches Deutungssystem gebracht, wird die Geschichte des Abendlandes zusehendes zum Kampf Auserwählter für die richtigen Ideen, die sie zu jeder Konsequenz berechtigt, bestehende Ordnungen umzustürzen.

Damit wird subjektives Elitegefühl selbstbestimmten Kriterien unterworfen, der Objektivität des Denkens entzogen. Wer sich auf solche Erweckung und Bewußtheit davon beruft, ist logisch nicht mehr zu widerlegen. Auf dieser Rechtfertigung steht eine Entwicklung, die das Zeitalter der Emporkömmlinge einläutet. Und deren Siegeszug sich erst heute in vollem Ausmaß zeigt. In einem Subjektivismus, der seit dem 12. (in allen möglichen Erwählten-Bewegungen, die sich sämtlich etwa auf persönliche Mystik beriefen), vor allem aber dann im 15. Jhd. durchbrach.

Es ist eine anti-philosophische Haltung, denn dahinter steht kein konsistentes System, das sich bemüht, denkerisch die Widersprüche aufzulösen. Widerspruchslösung wird zur reinen zweckbestimmten Argumentation, die den Menschen guten Willens schon deshalb verwirrt, weil er von sich ausgehend dem anderen den Willen zur Widerspruchsfreiheit unterstellt. 

Dazu muß die Vergangenheit als gleichfalls und prinzipiell inkonsistent umgedeutet und entwertet werden. Wie sie in einer regelrechten Kulturwelle das Mittelalter nicht mehr verstehen wollte, sondern ins Dunkel des Bösen abdrängte - eine erst spät entstandene, absichtsvolle Deutung!

Zu sagen, daß dies oder jenes ja auch in diesen Lehren und Lehrgebäuden bedacht sei - weil erwähnt, weil da oder dort ja explizit ausgesagt, wie etwa die des so überaus heftigen Rückverweises Luthers und Calvins auf die Gottgegebenheit gesellschaftlicher Ordnung ist kein wirkliches Argument. Weil sie, wie Voegelin nachweist, nur Versuche darstellen, das in der Erstarkung als gesellschaftliche (und damit institutionelle) Kraft losgetretene Chaos durch praktische Maßnahmen wieder einzudämmen. Etwa mit starken, veräußerlichten Gehorsamsgeboten, wobei Gehorsam umgedeutet wird, um noch offen für die subjektive Rebellion zu bleiben. Aber sie sind nicht Ausfluß in sich konsistenter Theorien, die streng logischem Anfragen widerstehen könnten. Sie sind Argumente praktischer, in ihren Kriterien rein subjektiv bestimmter Notwendigkeiten.*

Ein erschütterndes Charakteristikum der Gegenwart ist nämlich genau das, wie Voegelin bereits vor 50 Jahren feststellt: Man hat es bis hinein in den täglichen Umgang nur noch mit Ausflüssen von praktischen Theorien zu tun, über deren wirkliche geistige Gründe sich niemand mehr Rechenschaft ablegt. Das geht einher mit dem Gefühl, die Welt prinzipiell bemeistern zu können. Das geht also einher mit der Zunahme von Wohlstand und (scheinbaren) Lebensbewältigungsmechanismen. Das geht einher mit Theorien, die nur  noch praktisch regeln zu müssen meinen, was theoretisch als "richtig" einfach nur noch vorausgesetzt wird, völlig der Subjektivität überlassen wird.**

Ordnung kann in einer der Ontologie (dem Sein) entrissenen Art zu "denken", Welt zu sehen, nur noch "von außen" (einerseits; anderseits durch subjektive Medialisierung für die Erwählung direkt durch Gott) kommen, und verlagert sich auf Staat und vor allem (Zwingli!) überstaatliche, weltumspannende Organisation. In Totalitarismen, in Zentralismen, in eine immer ausuferndere (und nur noch technische) Beherrschung äußerer Lebensvorgänge und -äußerungen, deren sichtbarer "Erfolg" Kriterium ihrer Berechtigung (wie Auserwählung) ist. Samt der Folge zunehmender Vehemenz, mit der die Befolgung dieser allgemeinen "göttlichen" Verhaltensregeln durchgesetzt wird. Getragen vom Paradiesesversprechen, das jenen verheißen ist, die sich je subjektiv bemessen*** im Stande der Auserwählung befinden.



*Damit kennzeichnet Voegelin einen Grundzug der Moderne, der zutiefst in persönlichen Konstellationen und Motiven ansetzt: Als Verzicht auf Wahrheit, um die Herrschaft (der Neuen) zu legitimieren. Im Selbstsein drückt sich einerseits (in der analogia entis) die Ähnlichkeit mit Gott aus, der aber im Umschwung das "Sein des Selbst" zum "Sein wie Gott" - die faktische Situation des Selbst als Anlandepunkt, quasi als Simulation des SelbstSEINS - folgt, als strukturell der Analogie nachgeformten Teilhabe an einem aber anderen Geist. Diese Bindung ans Faktische (der "gerade eben gegebenen" Motivlage, die das "gerade gegebene Selbst" konstituiert) ist damit eine Immanentisierung des Göttlichen (Hegel) ins Weltliche, und damit eine gnostische Bewegung.

**Selbst die Hl. Schrift wird von Luther, v. a. aber von Zwingli (der für den westeuropäischen, und von dort den amerikanischen Raum so bedeutend wurde) nur noch herangezogen, um subjektive Aussagen zu belegen. Widersprüche zu den eigenen Thesen werden entwertet oder als irrelevant (oder "anders zu verstehen") beiseite geschoben. Dieses Prinzip des Protestantismus - das ihm notwendig war, weil er sonst seine Widersprüche nicht "klären" könnte - findet sich heute sogar schon in der katholischen Kirche in erschreckendem Maß, die damit zeigt, wie sehr sie in vielen ihrer Vertreter bereits im Strom des Zeitgeists schwimmt.

***Es ist zumal heute fast schon generell zu beobachten, daß Menschen subjektiven "Offenbarungen" oder "mystischen Erlebnissen" einen Wert beimessen, der jederzeit den Verstand verdrängen darf. Enorm viele Menschen der Gegenwart gehen davon aus, daß subjektive Erlebnisse jedes objektive Ordnungsfeld der Vernunft verdrängen können. Und sie stürzen sich mit Gier auf jede mögliche Form von "Erwählungserlebnissen" - bei sich wie bei anderen. Die sie via Behauptung" jederzeit nüchterner Überlegung entziehen können. Wer die Erneuerungsbewegungen etwa der Kathol. Kirche ansieht, sieht exakt diese Grundstrukturen.






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