Dieses Blog durchsuchen

Montag, 10. Februar 2014

Morgenleuchten der Demokratie

Niemals hätte das Rechtsgefühl bis ins hohe Mittelalter hinein das Volk als Souverän angesehen. Genauso wenig wie den König als absoluten, in keinem Fall angreifbaren Herrscher. Er war Mittler zwischen Gott und dem Volk, und das Volk erteilte ihm bei einer Wahl nicht die Macht, sondern wählte jemanden, der die Macht ausübte - die er von Gott erhielt. Sich gegen die Macht zu erheben wäre deshalb immer ein Sakrileg gewesen, ein Verstoß gegen ein göttliches Gebot. Es ging wenn - nur um die einzelne Person, in genau abgezirkelten Verstößen und Bereichen. 

Man wählte keinen Diener, sondern einen Herrscher. Das uralte Widerstandsrecht der Germanen lebte solcherart im Rechtsgefühl aller fort, und es bezog sich nur auf den Einzelwiderstand, wo Recht vorenthalten oder Unrecht ausgeübt wurde. Wo jeder sogar das Recht hatte, dem König die Fehde zu erklären.

Wie dieses Verhältnis genau zu verstehen war blieb freilich in den Randbereichen immer ein wenig unklar und verschwommen, und oft genug einfach durch den Sieger in einem Streit definiert. 

Beide Gedanken - Absolutismus und Volkssouveränität - tauchten erstmals im Investiturstreit auf, im Streit, ob der Papst Gregor VII. einen ketzerischen König, Heinrich IV., absetzen könne, oder nicht. Und man nahm sie nicht wirklich ernst, denn das Rechtsempfinden war fest, jeder wußte, was es meinte, und das war nicht im Sinne dieser Gedanken. Daher kümmerte man sich eher wenig um diese Argumente, die beide Seiten der anderen an den Kopf warfen, um ihr Recht im politischen Streit zu beweisen, und wo die Richtigkeit des Gedankens manchmal der politischen Taktik unterlag.

Aber ausgerechnet die Kirche war es, aus deren Kreisen jenes Argument erstmals in der Geschichte des Abendlandes auftauchte, daß das Volk SOUVERÄN sei. Der kirchliche Rechtsgelehrte knüpft dabei an das germanische Widerstandsrecht an, und überinterpretiert es, im Sinne der päpstlichen Politik.  Niemals aber hätten die Germanen ihren Herrscher als ihren Diener begreifen wollen.

Und im Gegenzug entstand der Gedanke der Unangreifbarkeit des Herrschers, auf kaiserlicher Seite. Gestützt durch das Ausgraben der spätrömischen Gesetzeswerke, in denen man den damaligen Absolutismus der Imperatoren auf die neuen Verhältnisse umlegte. Auch das hatte es nie gegeben.  Kein Fürst war je unantastbar, ja etwa bei Westgoten, bei den Merowingern oder den Langobarden gab es eine Unzahl von Fürstenverlassungen und Absetzungen. 

Während von einzelnen Kirchenrechtlern wieder argumentiert wurde, daß wer einen König wähle, diesen auch jederzeit wieder absetzen könne, erwiderten die Königstreuen unter Bezug auf das römische Recht, daß wer jemandem etwas schenke, diese Gabe nicht wieder zurückverlangen könne.

Aber in diesem Streit zeigte sich im 11. Jhd. erstmals als Wetterleuchten der spätere Absolutismus hier, die Demokratie dort, schreibt Fritz Kern. 

Es hatten sich Unsicherheiten der Auslegung offenbart, die aufbrachen, als das Empfinden versucht wurde, und ausformuliert werden mußte. 

Immer mehr versuchten daraufhin die Herrscher, das Widerstandsrecht zu eliminieren. Und sie taten es auch durch Verträge, in denen etwa das Staatsrecht beim Lehensrecht Anleihen nahm. 

Damit trat immer mehr auch der Gedanke auf, daß das Verhältnis des Herrschers zu seinem Volk ein Vertragsverhältnis sei - die konstitutionelle Monarchie bereitete sich vor. Der König war damit nicht mehr Zeichen Gottes für seine Untertanen. Worin auch der alten christlichen Auffassung von der Staatsgewalt widersprochen wurde, die jeden Herrscher zu ertragen hatte, das (passive) Widerstandsrecht nur dort auftrat, wo er die Verletzung der ersten Pflicht - der Gott gegenüber - verlangte. 

Ebenso versuchten die Herrscher des späten Mittelalters zunehmend, das Volk "präventiv" in die Staatsgeschäfte einzubauen, in den ständestaatlichen Einrichtungen, um so nicht Gefahr zu laufen, abgesetzt zu werden. Während von anderer Seite her sich in Deutschland* der Rat der Reichsfürsten bildete, der einerseits das Recht hatte, den König zu wählen, aber auch abzuurteilen, ja ihn abzusetzen. Was gedacht war als "Formalisierung", um die Rechtslage klarer zu halten, Wildwuchs zu beschneiden weil das Recht zu institutionalisieren, erwies sich in ganz Europa als unhaltbar, und zerstörte formal die Souveränität. Weshalb es ab dem 15. Jhd. in "stillschweigendes Verlassen" überging ...

Aber vor allem, so Kern in "Gottesgnadentum und Widerstandsrecht", hat sich im Gedanken des Volkssouveräns, der im 11. Jhd. auftauchte, die Demokratie des 19./20. Jhds. vorbereitet. 

Denn fortan sind diese Gedanken, die ursprünglich je Grenzüberschreitungen im Investiturstreit waren, nicht mehr von der Bildfläche verschwunden, und sie wuchsen sich zu ihrer späteren Vollgestalt aus, die eigentlich in Widerspruch zum Rechtsempfinden der europäischen Völker stand.




*Das Wesentliche an der Magna Charta in England war nicht, daß das Volk gewisse Rechte erhielt. Das Wesentliche war, daß der König einem Gericht unterstellt wurde, das sich an seinem Privatvermögen schadlos halten konnte - ihn aber NICHT absetzen oder persönlich verurteilen konnte. Damit wurde der Staat nie destabilisiert, man mußte den König nie stürzen, und dennoch mußte man Absolutie nicht dulden. Gleichzeitig wurde das Widerstandsrecht gegen königliches Unrecht institutionalisiert, was anfangs zwar noch nicht wirklich funktionierte, aber den Weg zur Schaffung eines Parlaments ebnete, mit dem es endgültig funktionierte.




***