Der Wende folgte die Deindustrialisierung der DDR, die geplante
Versenkung einer ganzen Volkswirtschaft mit 15 Mio. Bürgern. Hunderte
Milliarden an Kapital wurden vernichtet. Hauptursache: Der populistische
Währungswechsel, der die inneren Wertverhältnisse für Konsumenten
ausglich, für die Wirtschaft aber zur Katastrophe machte, weil sie einer
unmöglich zu tragende Erhöhung der Kosten (man denke nur an die Löhne,
an Kredite) um 400 % bedeutete. Denn die Ostwirtschaft stand vor dem
Konkurs. Aber anstatt zu sanieren, wurde demontiert, das positive
Wirtschaftskapital geplündert, Konkurrenz beseitigt - es blieben den
Westunternehmern bloße Konsumenten, bloße Nachfrage. Niemand schien
ernsthaft überlegt zu haben, was eine Währungsparität für die
Nachfrageseite von 1:1, hinter der wirkliche Produktivverhältnisse von
4:1 standen, auslösen würde. Der Ertragswert der Unternehmen fiel gegen
Null, und auf diesen Wert fällt die nun unbewirtschaftete Substanz.
Eine
der schlimmsten Auswirkungen: Man brach das letzte Selbstbewußtsein
eines Volkes, und fast notwendig drängte man das (berechtigte) Empfinden
erlittenen Unrechts, die notwendige Selbstrettung im Stolz, zur
brisanten, schwelenden, und irgendwann auflodernden Dolchstoßlegende ab.
Jeder vierte Bürger der ehemaligen DDR sieht sich heute als Verlierer
der Wiedervereinigung. 85 % der ehemaligen DDR-Betriebe sind heute in
der Hand westdeutscher oder ausländischer 'Eigentümer. Ob man aber
wirklich von "Plünderland" sprechen muß (wie dieser Film)
wagt der Verfasser dieser Zeilen zu bezweifeln, so sehr Plünderung im
Einzelfall vorgekommen sein mag. Dazu hat er einfach zu viel gesehen und
erlebt, wie die wirklichen Vorgänge in ihrer Komplexität aufgrund einer
gerade im Krisenfall direkt aufbrechenden Ambivalnz der Dinge, über die
schon alleine oft zu sprechen schwierig oder unmöglich ist, ganz anders
liegen, als es für viele aussieht.
Verschwörungstheorien
haben den eklatanten Mangel, daß sie so gut wie immer eine schwierig zu
durchdringende, weil einfach nicht so einfach eindeutig zu erklärende
Sachlage, über ein erklärungsleisten scheren, der scheinbar viel
erklärt, und doch völlig falsch liegt. Meist, weil schon im Grundansatz
fundamentale Denkfehler begangen werden. Vor allem aber, wie der
Verfasser dieser Zeilen immer wieder beobachtet hat, werden sie so gut
wie immer von Menschen vertreten, die genau von dem Gebiet, über das sie
auf diese Weise denken, Wirklichkeiten mangels existentieller Erfahrung
nicht kennen. Man nehme nur die Situation, in der Liquiditätserhalt zur
leitenden Maxime werden muß, eine Situation, die vorübergehend
passieren kann und vorübergehend bleiben muß - wehe aber, wenn sie zur
Dauer wird.
Nicht zuletzt drückt sich darin die
tatsächlich bedenkliche Situation aus, in der unsere Länder furchtbar
bereits leiden: Mangel an wirklicher Führungserfahrung. Denn erst dabei
wird die erwähnte Ambivalenz oft in aller Wucht und "Unlösbarkeit"
erfahren. Es gibt etwa Lagen, in denen nicht mehr zu entscheiden ist,
was das "Bessere" innerhalb von "Gutem" ist, sondern nur noch das
"weniger Falsche" gesucht werden kann. Eine Lage, in der die wirkende
Kraft von Information zum existentiellen Problem aufsteigen kann.
Man
nehme ein Beispiel: Goldfanatiker, die im Grunde dieser Klientel der
Verschwörungstheoretiker angehören, nur "gesundvernünftelt" werden, auch
von Journalisten, haben dasselbe Wirklichkeitsproblem wie die Macher
obvernetzten Hör-Videos (das durchaus interessant ist), sie begreifen
deshalb nicht die Relativität von "Wert", sondern fliehen ins
Irrationale, die einfach behauptete Ursache.
Aber es
ist unter Umständen bis zum Gegenteil falsch, was Untersuchungen im
Detail erbringen zur Beurteilung eines umfassenden Geschehens
heranzuziehen. Die Motivlage ist oft recht komplex, und wo im Einzelfall
- man nehme die Bankenübernahmen, die für sich betrachtet wie riesige
Geschenke an Westbanken aussehen - Seltsames geschehen scheint, muß man
auch annehmen, daß die Gesamtlage in den Verhandlungen zwischen Treuhand
und Banken zahlreiche andere Faktoren ins Kalkül zu ziehen hatte. Wie
Theo Waigel es sagt: "Wir haben doch nichts verschenkt! Aber wir brauchten auch die Banken."
Denn
so seltsam es auch für manche klingen mag - selbst, wenn man einräumt,
daß findige Köpfe Vermögen ergaunert haben, selbst wenn man (was sogar
hohe Wahrscheinlichkeit hat), daß ehemalige Führungsgrößen der DDR ihr
Schäflein aufs Trockene gebracht haben, hat die Logik, die in der
"Abwicklung der DDR" ablief und sich so katastrophal auswirkte, nichts
von prinzipiellem Betrug - wenn auch möglicherweise von grundsätzlich
falschem Denkansatz - an sich, das glaubt der Verfasser dieser Zeilen
nicht.
Sondern ist seiner Erfahrung nach die Auswirkung
realistischen Geschehens und Bewertungsverfahrens, die so wesentlich
von Perspektiven abhängt. Man erlebt es auch im Westen etwa im Falle von
Unternehmenskonkursen. Damit ist auch verbunden, daß schon ein Wechsel
des Eigentümers den Wert einer Anlage, eines Organismus, eines Betriebes
maßgeblich verändern kann, obwohl sich - haptisch, sichtbar - nichts
verändert zu haben scheint.
Wobei ein Dilemma
gleichfalls unlösbar bleibt, und auch bleiben muß, das ist ein Gesetz
des realen Lebens: Die oft so persönlichen Schwächen von
Führungskräften. Aber wo wäre die Alternative? In der lächerlichen
Forderunge nach "Transparenz", als wäre dann die Reinheit von
politischen Entscheidungen erzielbar? Oder mit einer Beteiligung aller
an allen Entscheidungen? Wer so denkt, hat ... keine Ahnung vom Tuten
und Blasen, mit Verlaub. Wir müssen einfach mit der Fehlerhaftigkeit von
Menschen und auch mit deren Fähigkeit zum moralischen Versagen leben,
und neu leben lernen. Mit Sorge muß man den Aberglauben beobachten, der
wächst und wächst, es gäbe so etwas wie eine perfekte Gesellschaft und
eine perfekte politische Führung, was alles auf einer völligen
Selbstüberschätzung beruht, auf einer unendlichen Überschätzung dessen,
wozu menschlicher Geist fähig ist. Im Guten, wie auch dabei, eine
"Verschwörung" durchzuziehen. Was im Einzelfall immer höchstes Ziel
bleiben muß, ist im Ganzen einfach als Spannung zu ertragen, um eines
höheren Gutes willen.
Das führt auch zur
Fehleinschätzung, es bräuche für eine Gesellschaftsreform "große
Maßnahmen". Die Erfahrung lehrt vielmehr, daß das Versagen - oder auch
das Gute - im Kleinen und Kleinsten liegt. Dort liegt das Kriterium von
Kraft, im Widerstehen, im Initiieren, im Durchsetzen. Nicht in den
großen utopischen Entwürfen. Deshalb ist es für eine Reform nie zu spät.
Aber sie sieht im Einzelfall anders - und ach, wie bescheiden oft -
aus, als meist vermeint wird.
Wenn sich die DDR-Bürger
um die Früchte ihrer Arbeit gebracht fühlen, wenn so viele Bürger der
ehemaligen Oststaaten meinen, ihnen sei etwas vorenthalten worden, auf
das sie nun zugreifen dürften - das wäre dann der Westen - dann haben
sie in gewisser Hinsicht Recht! Aber vorenthalten wurden ihnen die
Wirklichkeit, vorenthalten wurde ihnen, wie es wirklich um ihr Land und
damit um sie selbst steht. Erst als dieser Schein nicht mehr
aufrechtzuhalten war, weil die DDR pleite war, wie es Egon Krenz dann öffentlich zugab, trat die Führung die Flucht nach vorne an.
Die
entscheidende Tatsache ist, daß die westdeutsche Politik kein
durchdachtes Konzept hatte, wie im Fall einer Wiedervereinigung zu
handeln sei. Tempo, "Pastoral", ja, Schein wurde substantiellen Lösungen
vorgezogen, baute wohl auf auf persönlichem Ehrgeiz mancher Politiker
auf, sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen. Man probierte also wie
getrieben den großen Wurf. Dadurch entstanden aber zahlreiche
Graubereiche, die in der Geschwindigkeit der großen Änderungen nicht
gerecht gelöst werden konnten, weil vordergründige Motive der Oberflächenbehauptung, in
der man substantielle Ursache-Wirkungs- und damit Schuldverhältnisse
nicht lösen wollte, um manche Gestalt nicht zu zerschlagen, die
Herrschaft übernahmen.
Im Nachhinein wäre so manches
besser gewesen, was im Endeffekt ohnehin auf dasselbe hinauskam, denn
auch so blieb ein riesiger Schuldenberg: realtistische Konvertierung der
Währungen, Schuldenschnitte ... hätte man nur darüber ernsthaft
nachgedacht. (Ist nicht bei Griechenland, ja wo sonst noch ... dasselbe
passiert?) Dadurch entstehen auch viele Ängste, die gar nicht begründet
sind, sondern einfach dem fehlenden Mut zur Wirklichkeit entsprechen.
Und das hat nicht zuletzt mit dem Zentralismus der Politik zu tun, die
mit einem mal vor Entscheidungen steht, die eben dann auch "alles"
betreffen, weil das organische Hinterland fehlt, das aus eigener Kraft
Stöße aushält und ausgleicht. Erinnern wir uns aber an Erkenntnisse der
Kybernetik: Wo Systeme ab einer bestimmten Komplexität in ihrem
Gesamtverhalten bei Teilentscheidungen nicht mehr vorhersagbar
reagieren. Daran erstickt der Zentralismus an sich selbst, reißt aber
viel mit sich. Es gibt auch in der Natur ein Gesetz von Größenordnungen,
die kein Organismus überschreiten kann und je überschreiten wird - es
sei denn, er rottet sich selbst aus. Das nicht zur Kenntnis zu nehmen
ist der furchtbare Fehler einer mechanistischen Weltsicht.
Morgen Teil 2) Lug und Betrug bei der Zerschlagung der DDR? - Ein Bericht des ZDF
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