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Montag, 24. Februar 2014

Wertloses Aufflackern von Worten

Wer sich mit Philosophie beschäftigt, wird bald erkennen, daß sich die deutsche Sprache wesentlich besser eignet, Philosophie zu betreiben, als etwa die Englische.  Sie hat sich über die Jahrhunderte, in hoher Affinität zum Griechischen (für das Ähnliches gilt) und Hoch-Lateinischen, zu einem präzisen Instrument entwickelt, mit dem sich das über die Welt Erfahrene abstrahieren und damit in seiner Tiefe, in seinen immer einfacheren Ursprüngen, erkennen läßt. Viele Begriffe, mit denen etwas sehr Reales gemeint ist, finden sich im Englischen gar nicht, man kann sie nur umschreiben. Man denke alleine an die Differenzierung zwischen "Realität" und "Wirklichkeit", für das das Englische nur ein Wort kennt - "reality".

Warum erzählt der Verfasser dies? Weil er darauf hinweisen möchte, daß Sprache ein Kulturgut ist, das nicht im Einzelnen gründet, sondern als Kollektivleistung einer Sprachgemeinschaft entstanden ist und entsteht. Dabei zeigt sich aus diesem Beispiel gleich ein nächstes Merkmal - es sind diejenigen, die sich nicht mit einer Sprache zur bloßen Irgendwie-Bewältigung des Alltags begnügen, die eine Sprache entwickeln und formen, sondern es sind die Philosophen und vor allem die Schriftsteller und Dichter, die das tun. Und über ihre Werke und Hervorbringungen auf das Sprechen des Volkes Einfluß nehmen. 

Aber sie erfinden nichts dabei. Sie zeigen nur die Ambivalenzen in Begriffen auf, die sie in ihrer Suche nach der Wahrheit noch weiter differenzieren. Und darin wirkt sich Sprache auch auf das reale Alltagsbewältigen einer Sprachgemeinschaft aus. Salopp formuliert: Eine wenig ausgearbeitete Sprache macht eine kulturelle Höherentwicklung gar nicht möglich. Wer sich "primitiv" ausdrückt, und darüber nicht hinaussteigen kann, vermag auch die Dinge des Alltags nicht zu differenzieren.

Damit hängt eng zusammen der Charakter einer Sprache als "Geschenk". Sprache ist ohne Allgemeinheit, ohne soziales Umfeld, undenkbar und weitgehend sinnlos. Das ist selbst wiederum eine Analogie zum Wesen der Vernunft, dem Logis, der der Welt zugrundeliegt, und dem sich zu nähern eigentliches Wesen der Sprache ist. Deshalb kann nur über Sprache, und darin dem Logis, Einheit der Menschen entstehen. Einheit im Einen, natürlich nur ein Näherungsprozeß, aber in der Sprache wie Leitschienen auf der Straße in der Richtung gelegt. Ohne übernommene Sprache - ohne MUTTERSPRACHE - gibt es keine Kultur. Jeder Mensch, der sich eine Sprache erfinden muß, müßte quasi von vorne anfangen. Und wenn er dann stirbt, wird er vielleicht den Erkenntnisstand und die Vernunftausprägung der 17jährigen haben, die zweihundert Jahre vor ihm gelebt haben. 

Vereinfacht und zusammengefaßt: Sprache wird empfangen. Wer den Empfang einer Sprache verweigert, verweigert die Vernunft. Es ist kein Zufall, daß nach wie vor jener Mensch als Träger der Vernunft angesehen wird, der sich einer guten, und das heißt: distinkten, das heißt differenzierten Sprache bedient. Sie zeigt mehr als bloße technische Fähigkeit an, sie zeigt inneres Differenzierungsvermögen, und damit geistiges Durchdringungsvermögen der Welt an. Wer sohin intelligenter ist, ist auch fähiger im Umgang mit der Welt. Wer sohin eine gute Sprache empfing, und ihr treu blieb, ist vernünftiger.

Nun wird vielleicht klarer, warum diese Ausschweifung sich hier findet. Denn es stellt sich nun in Presseberichten offiziös heraus, was im persönlichen Umgang ohnehin bereits lange sichtbar gewesen war: Die Fähigkeit junger Menschen, sich präzise auszudrücken, ist dabei zu schwinden. Anstelle einer präzisen Sprache wird ein irgendwie verballhorntes Lautgeplappere gesetzt, dem es nicht mehr auf Bezug auf Allgemeines ankommt, sondern den jeder sich "irgendwie denkt".

Das hat es zwar immer gegeben, aber es hat noch vor wenigen Jahrzehnten Menschen ausgezeichnet, die - sagen wir es brutal offen - der Unterschicht angehört haben, dem psycho-sozialen Elend näher als der Kultur. Sittliche Schwäche hat sich eben in der Sprache ausgedrückt. Dieses Wissen war noch vor wenigen Jahrzehnten allgemein.

Doch dann kam die ... Rechtschreibreform. Und in einer unendlichen Zögerlichkeit und Unsicherheit wurde eine neue Schriftsprache "eingeführt". Schon diese Zögerlichkeit, dieses erst Verordnen, dann Zurücknehmen, um dann neuerlich zu verordnen, hat bereits ihren Geburtsschaden angezeigt, der fundamentale weitere Schäden nach sich zog: Es waren nicht die Schriftsteller, Dichter und Philosophen, die den Stand der Sprache quasi wieder einmal festlegten, mit allen Änderungen, die sich als Differenzierungsfähigkeit akkumuliert, aber ihren adäquaten Ausdruck noch nicht im Allgemeinen Sprachfundus gefunden hatten, sondern es waren Beamte und Politiker, die von völlig anderen Gesichtspunkten aus festlegte, was nun Sprache zu sein habe.

Plötzlich aber wurde in einer aberwitzigen Diskussion darüber diskutiert, wie diese Sprache auszusehen habe. Und es wurde gestrichen und vor allem wurde: "vereinfacht". Viele Worte (etwa solche, die aus anderen Sprachen hereingenommen wurden, und zwar nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie Dinge bezeichneten, die auch in unsere Kultur hineingenommen worden waren) verloren Hinweise auf ihre Herkunft (was sie als Begriffe noch schwieriger zu erfassen macht), und selbst wenn man das noch tolerieren könnte, vorausgesetzt die allgemeine Vernunftfähigkeit hat diese Dingkomplexe (denen Worte, Begriffe zugeordnet werden) bereits als Dingkomplexe gegenwärtig, andere genuin deutsche Begriffe wurden simplifiziert (so sehr oft, daß sie schließlich wieder freigegeben oder die verordnete Änderung rückgängig gemacht werden mußte), alles war plötzlich im Fluß.

Der Eindruck verfestigte sich, daß Sprache ein von jedem Subjekt beliebig disponibles Gut sei, das jeder nach Belieben - und zumal bereits Kinder - verändern könne. Dazu kamen Medien, in Internet und social media vor allem, die durch ihre technischen Implikationen für den Charakter des Sprechens einer Verflachung des Sprechens katastrophalen Vorschub leisteten.

Plötzlich auch war Sprache nicht mehr das, was jemand von den Eltern, vor allem der Mutter entgegennahm, sondern es tat sich eine Kluft auf, die gar nicht so sehr wegen ihrer Größe, sondern wegen ihrer prinzipiellen Aussage zu einem wirklichen Problem wurde (wie sich ja zeigt) - die Sprech- und Schreibweise der Eltern unterschied sich mit einem male von der der Kinder. Kinder. Denn nicht gemeint ist, wenn jemand, erwachsen geworden, und zwar auf dem Boden der Muttersprache erwachsen geworden, die übernommene Sprache als zu enges Kostüm erfährt, weil sich seine Vernunft bereits weiter entwickelt hat, sodaß er neue Begriffe sucht. Differenziertere Begriffe und Sprachwendungen.

Genau das zeigt sich nun. Kinder und junge Menschen empfinden heute die Sprache als etwas, das sie so zu handhaben hätten, wie es ihnen gerade in den Sinn käme. Was in der Realität heißt: völlig beliebig, und vor allem ohne sich um einen Ausdruck zu bemühen. Das Distinkte in der Sprache hat sich längst begonnen, aufzulösen. Wenn heute jeder Brief mit "Hallo" beginnt, dann zeigt das keinen kulturellen "Wandel", sondern den Abbau von Kultur, weil nicht einmal mehr der Mühe wert erscheint, das Verhältnis zum anderen zu spezifizieren, als "Lieber XY," oder "Sehr geehrte XY". 

Wobei sich die Initiatoren der verordneten Sprachreform (denn das war es, eine simple "Rechtschreibreform" gibt es nicht, man schneidet immer ins Fleisch der Vernunft selbst) ohnehin verraten haben. Denn sie haben den Instrumentalcharakter der Sprache in den Vordergrund geschoben. Genau so sehen sie es nämlich, und genau so handhaben sie ihre Sprache. Die Politiker, die ihnen hörigen Theoretiker (von "Wissenschaftler" sollte man da gar nicht sprechen.) 

Man hat die Autorität der Sprache gebrochen, so wie man überhaupt jede Autorität der Dinge gebrochen hat und bricht. In dem Moment aber, wo das geschieht, die Vernunft auf den Menschen selbst zurückgeworfen wird, ohne bereits geformt zu sein (denn das wäre ja das Wesen des Erwachsenseins), wo die Autorität der Dinge - die immer Autorität haben, weil sie immer ein "dieses da" sind, das dem Erkennenden vorausliegt - die Sprache nicht mehr bestimmt, weil es die Dinge nämlich sind, die jene Einheit tragen, die die Sprache dann in der Vernunft schafft, sinkt auch die Welt der Dinge ins Nebelhafte zurück. Das Grundlegende am Sprechen, der innere geistige Akt, wird für unnötig erklärt. 

Der Verfall der Fähigkeit zur Rechtschreibung zeigt damit keineswegs ein Versagen der Schuldidaktik an. Er zeigt einen Verfall der Fähigkeit zur Vernunft an. Das war Absicht wie Effekt der sogenannten "Rechtschreibreform", das war die Folge des Zerbrechens der Autorität der Sprache, die man nun allgemein und für jeden diskutabel gemacht hat, deren Natur man verwirrt hat. Und darin zeigt sich wiederum an, daß die Liebe, die es als persönliche Kraft nämlich ist, die überhaupt erkennen läßt, weil sie sich dem Ding hingibt, ihm mit innerer Kraft (die ursprünglich Anstrengung, in der Tugend aber Haltung weil Selbst-geworden-sein ist) zuwendet, entschwunden ist.

Wenn der geneigte Leser sich deshalb lieblos behandelt fühlt, wenn ihm das nächste Mail seiner Tochter ins Haus flattert, das mit "Hallo!" betitelt ist, dann hat er völlig recht, beleidigt oder entsetzt zu sein. Die tausend Schwüre um Liebe und Gefühl, die in der dann folgenden Textwurst irgendwie und ohne jede Rücksicht auf Orthographie ausgedrückt sind, sind nicht einmal mehr die wenigen Watt wert, die sie am Bildschirm aufflackern läßt. Das Gegenüber hat nicht einmal so viel Interesse an einem, daß ihm daran liegt, die Kraft aufzuwenden um eine Gestalt darzustellen (bzw. zu schaffen), die nämlich erst Einheit schaffen könnte, die Einendes manifestieren könnte. Er will eigensüchtig nur Funktionen nützen.





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