Letztendlich ist das Ziel der Heiligkeit (und der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen, wobei es besonders die streitbare Kirche betrifft, also "unsere" rein irdische Kirche, solange wir dieses Leben leben) ein Leben in der Vorsehung Gottes. Ein vollkommenes Leben vollkommen darin geborgen. Der große Fehler wäre aber nun daraus abzuleiten, daß ein solcher Zustand tatsächlich und dauerhaft erreichbar und praktisch als "Utopie", als Idealzustand verwirklichbar wäre! Das ist er nicht.
Denn jeder fällt täglich sieben mal siebzig mal, und er wird es weiter tun, selbst wenn er auf das schmale Tor zum Himmelreich immer wieder anvisiert hat und am besten Weg dazu scheint. Deshalb haben wir aber Beichte und ständige Gewissensprüfung, in der selbst eine Heilige wie Theresia von Avila täglich beichten ging, um sich immer wieder neu auszurichten.
Aber sind von der Erbsünde geschlagen, umgeben von Lebensbedingungen die schief laufen, immer und pausenlos, geprägt von Schwächen und falschen Lebensgewohnheiten. Wir KÖNNEN das nicht aus eigener Kraft. Wir können es nicht, solange wir leben. Und weil ein Leben zur Heiligkeit hin bedeutet, sich in die Welt der konkreten Aufgaben und Beziehungen zu transzendieren, also in diese Welt der Beziehungen hinein zu sterben, sich ganz an sie hinzugeben, werden wir wieder und wieder fallen. Denn diesen Zustand "in Gott" können wir nicht konservieren. Auch wenn es "sprituelle Richtungen" gibt, die genau das anstreben - sie sind verfehlt, und wenn sie noch so viele Frömmigkeitsformen pflegen und suchen.
Das ist ja das Übel mit allen diesen Sekten und puritanisch-protestantischen Sekten und "Religiönchen". Sie enden zwangsläufig im Fanatismus, weil sie genau das glauben: Ein Leben leben, Lebensbedingugnen schaffen zu können, die ganz exakt und permanent dem Willen Gottes - der Vorsehung also - entsprechen. DAS GEHT NICHT. Denn dann würde das, was uns heiligt, das konkrete Leben also, ausgeschaltet. Woran also wollen wir uns noch heiligen?
Deshalb heißt Katholizität immer auch REALISMUS. Gewogener, gelassener Realismus. Der immer Milde und sogar ein gewisses Augenzwinkern parat hält, wenn wir uns und unser "gutes Leben" betrachten. Humor ist dem Katholizismus also in die Wiege gelegt, ohne ihn geht gar nichts. Abstand zu sich selbst, eine große Prise des "sich nicht so ernst Nehmens" praktisch unerläßlich.
Und schon deshalb ist es unabdingbar im Katholischen, die Schwächen und Fehler der anderen zu vergeben (was bei weitem nicht heißt, daß man sie einfach "tolerieren", absegnen, hinnehmen muß, im Gegenteil, meist ist das Gegenteil notwendig, gerade dort, wo Verantwortung für andere beginnt. Aber man muß zwischen einer Tat, ihren Folgen, und dem Täter unterscheiden. Denn das Wesen des Menschen ist Kultur. Niemand lebt nur für sich, jeder lebt für andere, und Kultur ist die Prägung entweder zur Heiligkeit, oder zum Verderben. Tertium non datur! Unsere Aufgabe ist also die Kultur, zum überwiegenden Teil, nicht das Verdammensurteil über den anderen, und seine Freiheit muß Gebot sein, weil nur in der Freiheit Vorsehung Gottes möglich ist. Unser Aufgabe ist aber genau deshalb der Realismus, uns und unsere Lieben vor dem recht wahrscheinlichen Falschen auch zu bewahren, zu schützen, uns dagegen zu wehren, und aus FALSCH nicht RICHTIG, aus Lüge nicht Wahrheit, und vor allem eine falsche Tat nicht WEITERWIRKEND zu machen. Wir alle haben deshalb eine Sisyphos-Aufgabe.)
Das Leben in der Vorsehung Gottes ist unsere Sehnsucht, es muß das sein, was wie wieder und wieder und täglich und stündlich neu anstreben. Was wir an Heiligkeit erringen können ist also praktisch identisch mit dem Maß, in dem wir streben, in dem wir uns voraus sind und sein wollen. Es ist aber auch identisch mit dem Maß in dem wir wissen, daß wir es zeitlebens NIEMALS erreichen. Ja, aus diesem Wissen heraus entsteht sogar eine Grundbedingung des Heiligen: Die Erkenntnis, daß wir in jedem Fall auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes angewiesen sein werden. Im Glauben, in der Hoffnung, in der Liebe, den drei göttlichen Tugenden als göttliches Geschenk.
Wie heißt es so schön? Der Protestant lebt scharf, denkt aber recht großzügig, weil es ihm darauf nicht ankommt. Der Katholik hingegen denkt scharf, weil es auf die Wahrheit als Lieferweg der Gnade ankommt, lebt und vergibt aber großzügig, weil auch ihm vergeben wird, wenn er seine Vergehen scharf genug erkennt.
*010517*