Aber, so K zu mir, was hätte man tun sollen? Irgendetwas muß man doch tun - tun, was möglich ist!?
Aber das was man tat, meinte ich, und lehnte mich zurück, schob die Mütze ins Genick und den Zahnstocher zwischen die Lippen, um die Hände hinter dem Nacken zu verschränken, ging einfach zu weit - es war eben gar nicht mehr möglich. Sieh doch: Alleine England hat, um seine Banken zu retten, um so, angeblich, die Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren, den Gegenwert eines halben Jahres-Brutto-Inlandsprodukts an Geld neu geschaffen und ausgegeben, um die Banken zu stützen! Jeder britische Kopf ist nun mit zusätzlich 27.000 Pfund an neuen Schulden belastet! Und ich rede nur von England! Die EU besteht aber aus 27 Staaten! Wenn die Rettung des Status quo so weit geht, dann ist es einfach zu weit! Dann ist es doch keine Rettung - sondern die Basis für die nächste Krise. Denn was hat man gerettet? Nur die Hype-Blasen. Keine realen Werte. Nur die bereits bestehenden Schuldenbelastungen, denn unser ganzes Wirtschaften war schon Jahrzehnte nur noch auf grotesker Hoffnung aufgebaut, durch noch neue Belastungen für die Zukunft. Wir machen uns selbst weiß, daß das, was wir herleihen, auch einmal zurückgezahlt werden kann. Geht es absurder? Das perfekte Hamsterrad. Wir laufen, weil das Rad sich angeblich so schnell dreht, und stattdessen ...
Ja, aber hätte man denn stattdessen das totale Chaos riskieren müssen? Das geht doch nicht!? K war ein wenig verzweifelt.
Ja, fast darauf kommt es hinaus, denn wir haben hier ja die fünfte oder sechste Stufe eines jeweiligen Rettungsversuchs der letzten 30 Jahre. Jedesmal war das Argument dasselbe: wenn man jetzt nicht rettet, nicht einspringt, riskiert man einen Teilzusammenbruch. Und jedesmal waren wir nur noch einen Schritt weiter, war alles noch prekärer, und die alten Probleme waren sowieso in vollem Umfang wieder da, nur diesmal: zusätzlich.
Wie haben keine Probleme gelöst, so höre doch zu: Es IST NICHTS GELÖST, und NIEMAND hat irgendetwas GERETTET! Das sind die Lügen dieser Politikbeutel, die völlig hilflos auf ihre nächste Wiederwahl starren - Sie haben ALLES NUR wieder einmal AUFGESCHOBEN, WIEDER EINMAL: AUFGESCHOBEN!! WIR WARTEN ALLE AUF DEN WEIHNACHTSMANN!
Nun wurde ich ziemlich eindringlich, um es so auszudrücken. K war bereits im Maß des Ansteigens meiner Stimme nervös geworden, blickte nun hastig, mit angstvoll aufgerissenen Augen im Lokal um sich, als erwartete er sich vom KGB beobachtet. Er streckte seine Arme in meine Richtung:
Schschsch, reg Dich ab!!! Die Leute schauen schon!
Tschuldige ... Ich richtete meine Mütze, die in der Erregung nach vor gerutscht war, schämte mich einen Augenblick - ich mußte ausgesehen haben wie Fummelbär kurz vor seinem ersten Herzinfarkt - und blickte verstohlen um mich, fuhr dann, bemüht ruhig, fast flüsternd fort. Vielleicht aber hätte man jetzt noch ein wenig Handlungsspielraum gehabt. Der aber wird nun auf eine Weise eingeengt, daß ich behaupte, wir können uns zukünftig nicht einmal mehr wehren, wenn ein Floh hustet. Selbst kleinste Unregelmäßigkeiten im Wirtschafswachstum werden zukünftig brisant - und, vergiß das nicht: es gibt kaum einen Krieg der letzten 200 Jahre, der nicht aus Wirtschaftsgründen begonnen wurde. Wenn zukünftig schon kleinste Probleme das System in seiner Existenz erschüttern - dann frage nicht, wie rasch man mit schärfsten Gegenmaßnahmen kontern wird müssen. Immer mit demselben Argument: um Ärgeres zu verhindern. Verstehst Du? Wir haben eine Jahrhundertchance VERPASST!
Du übertreibst doch wieder einmal, Du bist halt ein ewiger Schwarzseher ... K schien nun zerstreut, nervös, blickte im Lokal herum, stocherte in seinem Kuskus, grüßte eine Bekannte durch Heben des Kopfes, ehe er den bemüht blasierten Blick wieder mir zuwandte. In solchen Momenten haßte ich ihn.
Nein, im Gegenteil, behaupte ich: ich glaube noch an die Regenerationskraft des Menschen, und ich glaube, daß sogar die heutigen jungen Menschen willens und tatkräftig genug wären, so richtig von vorne anzufangen, in die Hände zu spucken, gebraucht zu werden, und eine schöne Kultur aufzurichten. Ja, die warten auf dieses Signal! Aber stattdessen hat man uns nur noch angelogen und tut es noch: denn es geht nicht um Verhinderung eines Zusammenbruchs - was, bitte, soll denn noch mehr zusammenbrechen? Das WAR der Zusammenbruch. Und wir kitten nun die Scherben notdürftigst zusammen, unter noch mehr Ängsten und Bedrohlichkeiten, um uns so in die nächste, noch größere Apokalypse hinüber zu schleusen, in dem Wahn, es werde irgendwas, irgendwie, irgendwann schon noch kommen, das uns alle Löcher endlich auch wieder mal flicken und stopfen läßt, irgendwann ... Wehe nun dem, der dieses zusammengeschusterte Ding nun NICHT als "schön und gut" sehen will.
*171209*