Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Volkstheater, nicht Proletenstadel

Eine der Perversitäten, an die wir uns längst gewöhnt zu haben scheinen, ist die Reklamation der Linken, daß das Theater im Ursprünglichsten "Ihnen" gehöre - also eine Veranstaltung der Proletarier wäre. Nichts aber wäre (und das ist penibel historisch belegbar) weiter verfehlt!

Das Theater als lebendige Volksäußerung ist zuallererst eine Sache der religiösen Äußerung, als Fokus und Herz der innersten Bewegung des Menschseins. Und von dort weg hat es sich auch - in der Ausbildung stets vorhandener Zweige, wie dem "Komiker" als Diabolos des Sakralen - profaniert, so problematisch diese Trennung in hier profan, dort sakral, ist.

Noch heute hat jede kirchenrechtliche Verhandlung mehr vom echten Theater als die Linken je zu Gesicht bekamen, geschweige denn schufen.  Wo es sogar den Kasperl, den Mephistopheles, den Hanswurst (und wie er sich sonstwed ausarbeitete) noch gibt: den advocatus diabolo - den die Linken ganz schnell in ihren KZs verschwinden haben lassen. Das unbändigbare Instrument der Selbsthinterfragung, ohne Tabu und Grenze.

Das "politische" Theater ist eine impotente Angelegenheit verkopfter Aufklärung, und da darf man schon mal Schiller am nicht vorhandenen Bart zupfen: denn ab der Spätaufklärung und Romantik begann dieser Zirkus, das Theater als Bildungs- und Volksverbildungsanstalt zu mißbrauchen. Nicht zufällig kam es zu einem regelrechten Einbruch der Dichtkunst, vor allem in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, von welchem Tiefschlag sie sich erst mühsam nach dem ersten Weltkrieg wieder aufrappelte, ob erholt ist eine andere Frage. Aber spätestens in dieser Zeit begann endgültig die völlige Solitärisierung der Dichtkunst, die ihre Höhe nur noch in einigen Ausnahmen halbwegs hielt, gegenüber einer zum Strom anschwellenden, immer breiteren Masse an Nieten und Bedarfsschriftstellern, einer der vielen abscheulichen Mißgeburten des Technizismus ...

Am lebendigsten blieb die Dichtung als lebendige Volkskunst dort, wo sie auch zuletzt lebendig war: im geistlichen Spiel (Jesuiten- und Klostertheater des Barock!), in den Passionsspielen, in den Pfarrtheatergruppen (ja, tatsächlich ...) Und in den ach so harmlos wirkenden, aber wie populären Hausbüchlein und Volkskalendern, inmitten eines Umfelds von Frömmigkeit und heiterer Beschaulichkeit. Dort findet sich noch, mit welch bescheidenem aber wie echtem Anspruch, die blutwarme Erzählkunst tradiert.

Und die Proletarierkunst? Ja guter Gott - schaue man sich doch Hauptmann an! Will jemand allen Ernstes behaupten, daß DAS, diese konstruierte Belehrungsveranstaltung, blutwarme Volkskunst war? Oder das Thesentheater, bis hin zu Brecht und weiter zu Sein, Peymann und Konsorten? DAS soll Volkskunst gewesen sein??? Bestenfalls, wie es sich hirnverödete Linke vorgeträumt haben, die nicht gemerkt haben, daß neben ihnen im Publikum nur dieselben strukturkonservativen, verbeamteten Pseudointellektuellen saßen wie sie selber waren. Und die - welch ein Frevel! - Volkstümlichkeit mit ihrer eigenen geilen Primitivität vertauschten.

Da schaue man doch lieber hin, wo die Pauren und Arbeiter ihre befreienden Vergnügungen fanden, ab den 1920er Jahren ... Kein Geringerer als Rudolf Borchardt, von klassischer Bildung und Tradition gesättigt bis unter den letzten Haarschopf, weist darauf hin, was dort geschah: sie wanderten ab in ... Kino und Varieté. Wo man sie aber leider untergehen läßt.

Und die letzten Zuckungen des Volkstheaters, manche Komiker, manche Kabarettisten, die von den Linken mit gerümpfter Nase und verächtlichem Ausspucken bedacht werden, solange sie nicht auch da und dort linke Thesen hervorwürgen, werden nicht in Österreich gesichtet ... wo sich noch seichteste, langweilig-konformistische Komödie dem sogenannten Theater überlegen fühlen darf. Jeder Musikantenstadel hat mehr von diesem ursprünglichen, echten Volkstheater, als das Volksstimmfest um drei Uhr früh je hatte. Und jede Hansi Hinterseer-Bergwanderung mehr von Poesie, als die Herren Peymann und Stein je zu Gesicht (nicht: zu Gehirnmatsch) bekamen. Die jedem Sepp Forcher dieser Zeit die Füße küssen müßten.

Anstatt in linken Gazetten ekelige Wichs-Ejakulate vorgeblicher Altersweisheit - "Na wir waren ja noch ...!" - nie fertig pubertierender Beamter von sich zu spotten. Jawohl, Herr Peymann, das Theater ist selber schuld, aus der Mitte in den Randbereich geschoben worden zu sein. Und Sie sind gleich voran mit Schuld. Denn VOR Ihnen gab es noch etwas zu zerstören und zu zertrümmern, NACH Ihnen (und all ihren Kollegen der Nachkriegszeit, auch Zadek muß man da nennen, auch wenn sein Weg nicht so dezidiert, sondern unbewußt, deshalb quasi zufällig und immanent politisch war) nicht mehr.

Und um Ihre Ausführungen zu einem hoffnungsvollen Ende zu bringen: wunschgemäß stelle ich Ihr Bild in der Graphikmaske auf "rechts" (einzuordnen) - vielleicht nützt es noch was, ehe Gevatter Hein an der Tür klopft.




*161209*