Es sind nicht die "Fähigkeiten", die einen Menschen begabt machen oder nicht. Sondern seine Gabe ist - der Platz, an den er hingestellt ist. Darin irren so gut wie alle Annahmen über Kinder, Schule und Förderung, die heute herumgeistern. Es sind simple Reduktionen in Form eines Neo-Rousseanismus, nicht mehr. Und hier irren auch die meisten Ansichten, die heute über Erziehung bestehen. Sie irren in der auf den Kopf gestellten Anthropologie. Wer also Rousseau liest, liest was heute Grundlage der Pädagogik ist, die einen ungeformten, neutralen Menschen annimmt. Den es aber nicht gibt. Und zwar überhaupt nicht gibt.
Wozu immer ein Mensch befähigt ist ergibt sich aus seiner Position, aus seiner Identität, und damit seiner Herkunft, der gesellschaftlichen Stellung in die er hineingeboren wurde. Im kleinsten Umfeld beginnend, wie ins größte hineinwachsend, mit der Reifung. Sie erst macht eine Fähigkeit überhaupt erst zu einer solchen. Eine Gesellschaft ergibt sich nicht "von unten nach oben", sondern umgekehrt: sie teilt Identität zu - sie BENENNT. Sie erst macht konkret. Denn es gibt keine neutralen "Fähigkeiten", diese sind blind, diffus, unklar. Sie werden nur als Konkretion aber Gestalt, und das heißt, sie werden nur in einem konkreten Umfeld überhaupt benennbar.
Es ist der Name, der einen zu dem macht, der man ist, und es ist diese Name, diese Bezeichnung, aus der ein Vermögen, ein Mögliches, zu einem Wirklichen wird. Als Antwort auf ein herangetragenes Problem. Wenn es vielfach nicht mehr so erkennbar wird, dann nur aus dem einzigen Grund, daß es an ursprünglichen Geschlossenheiten von sozialen Umfeldern fehlt. Was immer aber als "Fähigkeit" (heute) an jemandem erkannt wird, ist es nur deshalb, weil ein gesellschaftliches Umfeld dazugedacht wird.
Egal, wie "niedrig" oder wie "hoch" also ein Position ist, in die man hineingerufen wurde (niemand verdankt sich ja sich selbst, jeder wurde gerufen, "in die Welt geworfen"), so ist nicht darin Schicksal und Glück beschlossen, sondern in seiner Konkretion IN DIESEM Umfeld, von ihm her, und auf es zu.
Der Fehler lag genau bei jenen, die meinten, es abschaffen zu müssen: Zu behaupten, daß diese gesellschaftliche Stellung Kriterium für Wert und Würde eines Menschen wäre. Sie ist aber nur für seine konkrete Gestalt verantwortlich, und zwar genau in ihr, und in keiner anderen. Nur in dieser Hinsicht sind alle Menschen gleich. Nicht aber in ihrer Gestalt.
Heute wird das Umgekehrte versucht. Und scheitert, selbst im Insgesamt von Dingen wie "Wirtschaft". Denn wenn man liest, daß in Spanien 50 % der Jugendlichen bis 25 ohne Arbeit sind, so sind das bereits Auswüchse eines aberwitzig gewordenen Bildungssystems, das Gleichheit in der Konkretion versucht und verhängt. Und damit genau das nimmt, was einem Menschen Aufgabe und Arbeit GIBT. Die nur in solchem Identitätsbezug zu einer ungeheuren Vielfalt erwächst, zu jener Vielfalt, in der viele Berufe und Nuancierungen selbstverständlich sind, und in der Dinge gefragt sind, die eine Gesellschaft der "Gleichen" gar nicht mehr kennt.*
Selbst nach Berufswünschen gefragt (auf welche Frage - auch das ist ja symptomatisch - junge Menschen heute immer seltener noch eine Antwort geben, sodaß sich schon daraus die Frage ergibt: Je weniger die jungen Menschen wissen, was sie werden wollen, desto mehr wird von Förderung gequasselt ... wie bei allem heute: immer mehr, immer schneller, aber das Wozu fehlt immer vollständiger) ergibt sich deshalb heute eine seltsame Monotonie. Die sich sehr zum Ärger der Linken (und wer ist im Europa des Heute nicht schon links) immer noch stark am Elternhaus orientiert. Das auszutreiben sich ja die Schule heute vorgenommen hat. Und damit einen Kampf gegen Windmühlen führt, an dem sie umso mehr scheitern muß, je mehr sie versucht, ihn zu gewinnen.
Genau das, was diese Gleichmacherei aller zu bewirken vorgibt, flexible, vielfältige weil vorgeblich "freie" Berufewahl, genau das erreicht sie nicht. 35 % aller Studienabsolventen träumen ... von einem Job bei Google. Und der Rest ist arbeitslos, wie in Spanien, Griechenland etc. Also genau das nicht, was er sein soll - flexibel, vielfältig.
Aber diese neue Schule, wie sie längst auf Schiene stand und nun noch mehr Realität wird, wird damit noch mehr Verwirrung anrichten. Selbst, ja gerade dort, wo sie sich besonders individuell und flexibel geben will.** Etwa mit einem in Leistungs- und Neigungsgruppen aufgelösten Schulsystem. Das Identitätsbildung noch schwieriger macht, ja verunmöglicht, weil das soziale Umfeld jede Stunde und jedes Jahr wechselt, amorph bleibt, was die Ausbildung einer Persönlichkeit - und DAMIT Lernen und Lernbereitschaft, motiviert aus konkretem Aufruf, ALS dieser oder jener an der Welt zu handeln, weil man dazu berufen ist - erst ermöglichen würde.***
Weil eben davon ausgegangen wird, daß es so etwas wie "neutrale Fähigkeiten" gebe, die auszubilden möglich wäre.
Das sind sie nicht. Und noch einmal: Das sind sie nicht. Weil es solche neutralen Fähigkeiten nicht gibt. Es ist das Amt, die Stellung, die den Minister macht. Nicht irgendeine (technisch bestimmbare) Fähigkeit.
*Ein kleines Beispiel soll das illustrieren: Es ist fast unmöglich, in Ungarn einen guten Herrenschneider aufzutreiben. Es gibt jede Menge Näher und Näherinnen, und seit zwanzig Jahren auch Schneider, die sich als Herrenschneider versuchen. Aber dieser Beruf ist ausgestorben, der Schneider wurde durch den Industrienäher ersetzt. Es gab in dieser Gesellschaft der Gleich-sein-müssenden einfach keine Käufer für solche Dinge. Weil aber dieses Voll- und Idealbild des Schneiders fehlte, sank die Qualität auch dieser vielen Näher. Speziell also die Handwerksqualität in solchen Gesellschaften ist äußerst bescheiden zu nennen.
**Es ist schon deshalb alles andere als Zufall, daß ausgerechnet jene Schulen den besten Ruf haben, die das genaue Gegenteil bieten: nämlich feste Identität und Charakterprofil weil -anforderungen. NICHT in erster Linie "Fähigkeitenprofile". Wie etwa die Fachhochschulen zeigen, schaffen solche Fähigkeitenspezialisierungen lediglich eine nächste Generation von angepaßten Funktionalisten, aber keiner Persönlichkeiten.
***Deshalb ist es auch ein Irrtum die Schule generell "abschaffen" zu wollen. Das hieße das Kind mit dem Bade auszuschütten. Und es heißt auch, daß Schule von Autorität nicht zu trennen ist, denn nur was Autorität hat kann lehren - und nur das heißt: weiter werden, weil den Hörenden formen, der sich dem Gehörten anschmiegen muß, um es zu erkennen, um weiter zu werden. Deshalb ist der Frontalunterricht die vermutlich zielführendste Variante des Unterrichtens: weil sie das Gehörte nicht der Freiheit der Zustimmung entzieht, sondern als etwas darstellt, nach dem es gilt sich auszustrecken. Auch im allmählichen Hineinwachsen in die Überwindung des Schmerzes, den Weiterwerden immer begleitend bedeutet, aber ohne den es Erkenntnis als freie Leistung (und genau eben nicht als quasi "eingeschleuste Sichtweise") überhaupt nicht gibt.
Unabhängig von der Frage, ob Schulpflicht sinnvoll ist, und nicht eher ein Schulrecht sein sollte. Wenn heute besondes plakative "Gegenbeispiele" herumgeistern, wo buchschreibende Sonderfälle sich als Muster für eine neue Schulgesellschaft vorstellen, so kann man darüber nur den Kopf schütteln. Denn die identitätsbildenden Faktoren GERADE dieser Sonderfälle hat niemand berücksichtigt, und auch nicht die autoritätsbestimmenden Elemente, die gerade hier dabei waren. Richtig an dem Ansatz bliebe nur, daß die Ausbildung der Kinder - als Hineinwachsen in den Zustand der Kultur (!) - von der Identität und dem Stand der Eltern nicht einfach getrennt werden darf. Und daß es durchaus möglich sein muß, OHNE Lesen und Schreiben in eine Lebensaufgabe zu wachsen, die das gar nicht braucht.
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