Daß der heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. den Philosophen Max Scheler zu seinem großen Lehrmeister (in der Philosophie) erkoren hatte, ist häufig zwar noch bekannt. Aber weniger bekannt ist, daß Scheler 1914 ein Buch schrieb, das sich "Der Genius des Krieges" nannte, und das meist einfach unter den Tisch fällt, mißt man Scheler an seiner Hauptleistung, in der Anthropologie. Und es steht zu vermuten, daß viele es lieber unter den Tisch fielen ließen, quasi als (bestenfalls verständlichen) "Fehltritt". Aber dieses Buch ist nicht von Schelers Gesamtwerk zu trennen, und es mischt in Schelers Anthropologie erst jene Farben, die ihr sonst fehlen. Ja, es wirkt wie ein alles tragender Schlußstein, den freilich vielleicht sogar Scheler selbst später, nach dem Kriege, lieber verheimlichen wollte, weil er nicht mehr verstanden wurde.*
Vielleicht ist kein Buch aber so erhellend die Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges betreffend, und vielleicht erhellt kein Buch so klar den Wandel, der sich in diesem Krieg vollzog. Und es ist ein prophetisches Buch. Als der Krieg sich von einem christlichen Krieg in ein Gemetzel umgestaltete, das die besten Kräfte des Krieges zerstörte, und damit den Grundstein zum eigentlichen sittlichen Wandel Europas legte, der diesen Kontinent bis heute so verderblich prägte, kam exakt das, was Scheler dem Wesen eines solchen Krieges zuschrieb.
Aber es ist blanker Unsinn, Christentum und christlichen Frieden mit der Abwesenheit von Krieg zwischen Staaten gleichzusetzen. Daß das Christentum mit Pazifismus identifiziert werden soll, ist eine Erfindung, deren Geschichte selbst bereits die Geschichte Europas erhellt. Wo sich das Unedle durchgesetzt hat, das Niedrige, das Heuchlerische und das Gemeine, Frieden mit materialistischer Wohlfahrt gleichzusetzen, diese zum höchsten Ziel zu erklären. In Wahrheit aber ist Krieg - als Leistung des reinen Geistes, und nur in dieser Geistigkeit wird er gerecht - vom Menschsein nicht zu trennen. Er ist eine 'condition sine qua non' jeder Kultur, die nicht ausgeschaltet werden kann, ohne einer Kultur selbst schweren Schaden zuzufügen.
Ein gerechter Krieg definiert sich deshalb nicht primär aus Kriegszielen, oder beschränkt sich auf "Verteidigung". Prinzipiell ist jeder Krieg gerecht, und es so zu sehen ist auch die ethisch-moraltheologische Tradition des Abendlandes. Vielmehr sieht Scheler Krieg und Frieden für den Menschen so essentiell, wie das Ein- und Ausatmen. Ein Volk, ein Staatsvolk, das lange keinen Krieg führt, versinkt fast zwangsläufig ins Unedle, und sein Alltag wird durch Ersatzformen des Krieges beherrscht. Eine solche Gesellschaft zerfällt in Einzelne, und bald beherrschen solche Ersatzformen - Konkurrenz! - das tägliche Zueinander der Menschen in allen Lebensbereichen.
Denn der Krieg ist nicht die Zerstörung einer Kultur, sondern er begründet sie erst. Nur und erst im Krieg werden die edelsten geistigen Kräfte des Menschen aktiviert und ins Dasein gerufen. Nur und erst im Krieg werden Raumfragen definiert, die jeder weiteren zivilisatorischen Entwicklung zugrunde liegen. Am Anfang war deshalb nicht die Kultur, sondern am Anfang des Menschen war der Krieg.**
Weil jeder Mensch dynamisch ist, sich entwickelt und entfaltet, diese Entwicklung aber auf den Raum bezogen ist, sonst ist sie nicht, das heißt: eine Machtfrage ist, eine des Wirkens, des Einflußnehmens, ja Menschsein überhaupt unterwerfende Besitzergreifung bedeutet, von sich, von der Umgebung, verändert sich auch das Zueinander von Staaten und Völkern und Räumen. Sie laden sich mit Kraft auf, zum einen, sie werden schwächer zum anderen. Letzteres vor allem dort, wo sich das Volksstreben nur noch auf Wohlfahrt und Genuß hinorientiert, die Garanten für das Zusammenfallen der Sittlichkeit.
Deshalb muß es zwangsläufig - und zwar als Gebot der Entfaltung des Menschen - zur Gestaltung dieses veränderten Zueinander kommen. Und das leistet der Krieg, und nur er kann das im Sinne des Eingliederns in die Persönlichkeiten leisten: keine Vereinbarung, keine Abmachung. Im Gegenteil, das zu glauben, vergrößert das Spannungspotential.
So ist das Ziel eines Krieges auch darin zu sehen, diese Machtverhältnisse neu zu ordnen. Der gerechte Krieg endet deshalb dort, wo die Frage nach der Über- und Unterlegenheit von Staaten und Völkern am Schlachtfeld - für beide Seiten! - entschieden ist. Das kennzeichnet auch den gerechten Krieg, der NICHT auf Vernichtung des Gegners abzielt, der sich an Spielregeln hält, wo alles unternommen wird, um die auch zur Entladung eingeladenen unteren Gefühlsregungen nicht zur Entfaltung kommen zu lassen.
Feindesliebe heißt ja nicht, niemanden zum Feind zu erklären. Sondern sie heißt nie aufzuhören, den Feind als Person zu sehen, in aller Würde, und im schärfsten Kampf gar. Scheler schreibt, daß sich deshalb nie die Liebe so mächtig entfaltet, wie im Krieg. Ja, erst im Krieg können sich auch jene Kräfte finden, die wahre Gemeinschaft eines Staates (Volkes) konstituieren. Und vom Grad der Veredelung, die eine Generation im Krieg erfährt, lebt und zehrt die nachfolgende Periode.
Krieg ist deshalb rhythmisch notwendig, und jede Generation fühlt in Wahrheit neu den Wunsch nach Krieg - als Erlösung von der Herrschaft der Schwäche und Niedrigkeit, die sich in Friedenszeiten nach und nach ausbreitet. Dieses Sehnen ist deshalb von hohem humanem Wert, und nur Niedrigkeit kann es einschlafen lassen.
Weil sich jede Generation sonst ihre Ersatzkriege sucht, die in Heuchelei enden. Die gerade das Emporkommen der Schlechten fördern, Gemeinschaften auf allen Ebenen zersetzen (und zu utilitaristischen, egoistischen Interessensgemeinschaften machen) weil zur Anforderung haben. Die den hierarchischen Aufbau einer Gesellschaft damit völlig aus dem Gleichgewicht bringen, bis das Schlechte an der Spitze steht. Das alles mit allen Mitteln unternimmt, das Starke, von dem aber erst ein Volk schöpferisch leben würde, unten zu halten. Auch in seiner nach innen gerichteten Wirkung dient also der Krieg der gesunden Gliederung menschlichen Lebens.
Krieg ist deshalb rhythmisch notwendig, und jede Generation fühlt in Wahrheit neu den Wunsch nach Krieg - als Erlösung von der Herrschaft der Schwäche und Niedrigkeit, die sich in Friedenszeiten nach und nach ausbreitet. Dieses Sehnen ist deshalb von hohem humanem Wert, und nur Niedrigkeit kann es einschlafen lassen.
Weil sich jede Generation sonst ihre Ersatzkriege sucht, die in Heuchelei enden. Die gerade das Emporkommen der Schlechten fördern, Gemeinschaften auf allen Ebenen zersetzen (und zu utilitaristischen, egoistischen Interessensgemeinschaften machen) weil zur Anforderung haben. Die den hierarchischen Aufbau einer Gesellschaft damit völlig aus dem Gleichgewicht bringen, bis das Schlechte an der Spitze steht. Das alles mit allen Mitteln unternimmt, das Starke, von dem aber erst ein Volk schöpferisch leben würde, unten zu halten. Auch in seiner nach innen gerichteten Wirkung dient also der Krieg der gesunden Gliederung menschlichen Lebens.
Es kann deshalb nicht darum gehen, Krieg um jeden Preis zu vermeiden. Vielmehr muß man sich der Frage offen stellen, wo Krieg notwendig wird, um das Zueinander von Völkern (und erst in der Folge: der Wirtschaft) neu zu bestimmen. Gerade in dieser fälschlich Humanismus genannten Kriegsvermeidung um jeden Preis wird das menschliche Potential zur gewaltsamen, aber nunmehr unkultivierten Entladung nur immer noch weiter aufgeladen.
Christlichkeit heißt nicht, keinen Krieg zu führen, sie heißt auch nicht einen christlichen Krieg zu führen, sondern sie heißt, einen Krieg christlich zu führen.² In dem nicht blinder Haß und Zerstörungswahn herrscht, sondern in dem der Krieg, der Kampf kultiviert wird. Und so nur vollzieht, was lediglich noch nicht an die Oberfläche gekommen ist, Gestalt gewonnen hat, und nun seine neue Raumordnung findet. Auf daß sich nach dieser Reinigung eine Zeit wenigstens - weil der Mensch eben so ist, wie er ist - wieder schöpferisch aufbauen läßt. Weil nach einem Krieg wieder Wertegefüge und -anforderungen herrschen, die den sittlich Höherstehenden begünstigen, weil brauchen. Und es sind die Kriege, denen Völker ihren Raum verdanken, in denen sie sich dann in eine Kulturgestalt ergießen.
Christlichkeit heißt nicht, keinen Krieg zu führen, sie heißt auch nicht einen christlichen Krieg zu führen, sondern sie heißt, einen Krieg christlich zu führen.² In dem nicht blinder Haß und Zerstörungswahn herrscht, sondern in dem der Krieg, der Kampf kultiviert wird. Und so nur vollzieht, was lediglich noch nicht an die Oberfläche gekommen ist, Gestalt gewonnen hat, und nun seine neue Raumordnung findet. Auf daß sich nach dieser Reinigung eine Zeit wenigstens - weil der Mensch eben so ist, wie er ist - wieder schöpferisch aufbauen läßt. Weil nach einem Krieg wieder Wertegefüge und -anforderungen herrschen, die den sittlich Höherstehenden begünstigen, weil brauchen. Und es sind die Kriege, denen Völker ihren Raum verdanken, in denen sie sich dann in eine Kulturgestalt ergießen.
Das Übel des Ersten Weltkrieges war deshalb nicht, daß er überhaupt ausbrach. Alle Völker Europas waren ja von seiner Notwendigkeit überzeugt, ja sehnten ihn herbei. Das Übel war, daß sich die kriegführenden Parteien - und hier vor allem England! - den abendländischen Kulturrahmen des kultivierten Krieges nicht mehr anerkannten. Und eine Kriegführung der Feigen provozierten, die nur noch durch Aufrufung der niedrigsten Kräfte möglich war, in dem alle Schranken und Grenzen fielen, mit dem Ziel der völligen Vernichtung des Gegners. Genau dorthin hat sich der Erste Weltkrieg dann auch entwickelt, und die Weichen für die kulturelle Entwicklung - die eine Entstaltung, ein einziger Kulturabbau war - für das gesamte 20. Jahrhundert gestellt.
²Weshalb sich Kriegsheld und Heiliger quasi decken - einer der tiefsten Gründe für die Heldenverehrung als fundamentale Notwendigkeit einer Staatsgemeinschaft.
*Es wäre eine Untersuchung wert - dem VdZ ist leider keine derartige bekannt - die Scheler nachgesagte "Wankelmütigkeit seiner Positionen" darauf hin zu untersuchen, wieweit er lediglich immer wieder neu versuchte, die eigentliche Spitze seiner Philosophie zu verbergen. In der er sich natürlich in höchstem Grad gegen den Zeitgeist und den Geist der Sieger des Ersten Weltkriegs stehend erleben mußte.
*Es wäre eine Untersuchung wert - dem VdZ ist leider keine derartige bekannt - die Scheler nachgesagte "Wankelmütigkeit seiner Positionen" darauf hin zu untersuchen, wieweit er lediglich immer wieder neu versuchte, die eigentliche Spitze seiner Philosophie zu verbergen. In der er sich natürlich in höchstem Grad gegen den Zeitgeist und den Geist der Sieger des Ersten Weltkriegs stehend erleben mußte.
**Vielleicht wird gerade in Christenkreisen gerne vergessen, daß am Anfang der Schöpfung der Krieg der himmlischen Heerscharen mit denen der abgefallenen satanischen Heere stand. Hier geschah genau das: Die Definition der Räume, in denen sich dann weitere Entwicklung abspielen konnte. Und sein auslösendes Moment war genau das: Eine (für einen Teil) ungeklärte, angezweifelte Machtfrage. Die in der Ursünde des Menschen die Schöpfung mit hineinzog. Deren Folge sogar explizit - Krieg, Feindschaft war.
*191014*