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Samstag, 25. Oktober 2014

Läuterung durch Krieg

Max Scheler betont die läuternde Wirkung des Krieges, dem großen Meister aller Pädagogik. Alle maßgebliche Philosophie geht letztlich auf die Erfahrung des Krieges zurück. Denn im Krieg wird der Mensch auf seine ursprünglichsten, elementarsten Bedingungen zurückgeführt, alle Haarspalterei, aller Formalismus der der Langeweile entstammt, ist vertrieben. Stattdessen sammeln sich die Menschen in ursprünglicher Selbständigkeit ihrer Anschauungen neu. Ohne Perserkriege kein Aristoteles und Platon, ohne Napoleon kein Hegel, ohne Kriegserfahrung als Offizier kein Descartes. Ihre Philosophie ist als direkter Dialog mit ihren Erfahrungen weit besser zu verstehen, denn mit allen logischen Handwerkzeugen.

Aber der Krieg reißt auch einem Volk alle Masken herunter. Es kommen die zivilisationsbestimmenden Antriebe in reiner Form zur Anschauung. Der Böse wird zum Spekulanten, der zuvor mit Klugheit noch "Geschäfte" betrieb, deren ethischer Antrieb sich gut verbarg. Während der Edle, der guten Willens, im Krieg zur Entfaltung des Edlen und der Liebe gerade in Bedrängnis reift.

Damit wird ein Krieg zur Nagelprobe einer Kulturhöhe. Und der Pazifismus, die aggressive Forderung nach Frieden als Abwesenheit des Krieges, entlarvt sich als angstvolle Schutzmaske. Hinter der sich die sittliche Schwäche verbirgt, die Angst vor dem Nichts hat, das ihr droht, würde dieser Schein fallen.

So verstanden, kommt dem Krieg der Rang eines Gottesurteils zu, in dem sich Wert von Unwert scheidet. Und zwar unabhängig von der Frage nach Sieg oder Niederlage. Denn nur aus diesem Zweck heraus hat es sogar gewisse Wahrscheinlichkeit, daß sich schwächere, niedrigstehendere Völker, die keine Grenzen der Ethik und Sittlichkeit kennen, gegenüber stärkeren Kulturen durchsetzen. Man denke nur an die militärische Unterlegenheit der Griechen gegenüber den Römern, deren Kriegsführung weit technisch-methodischer zweckorientiert (=utilitaristisch; militärischer Sieg um jeden Preis) angelegt war. Und dennoch war damals die höhere Vitalkraft der Römer, die direkt in der Religiosität gründet, aus ihr erst erwächst, entscheidend.

Scheler weist aber auf das real entscheidendste Faktum hin. Kriege werden nämlich durch die ... Mütter bestimmt. In diesem Fall standen sich die römische Matrone, auf der das gesamte Imperium Roms aufbaute, und die griechische Hetäre und Gebärmaschine gegenüber. Der Fortpflanzungswille siegt über den Lustgewinn. Der Römer war von der römischen Frau als "künftiger Vater" geprägt, der Grieche von der seinen als "Erinnerung an den Geliebten". (Die römische Kriegsführung kann sich deshalb über Technik nur über Fremde noch einige Jahrhunderte erhalten, weil auch in Rom die Frau von der Mutter zur Hetäre umbricht, nicht zuletzt unter griechischem Einfluß.) So fällt der Krieg auch über die Frau sein Urteil.

Das in einem Punkt aber kulminiert, seine Spitze findet: In der Bereitschaft, für Freiheit und Selbständigkeit sein Leben hinzugeben. Denn nichts wird vom Krieg so herausgefordert, als die Liebe. Nur an das Geliebte aber opfert man, und man opfert im Maß jener Liebe, die das Geliebte über sich selbst stellt. Ein Volk, ein Staatsvolk, das nicht sich selbst liebt, seine Familie, seine Kultur, seine Freiheit, hat sich sein Urteil bereits gesprochen. Es einzusammeln ist nur noch eine Frage der Zeit.

Das macht auch in der historischen Erfahrung die Über- und Unterlegenheit von Heeren und deren Kämpfern aus - es ist das Maß der Liebe, die sich nur erheben kann, wo der Einzelne, das Individuum, reif und weit genug aus der Masse herausgestaltet ist. Es ließ die Griechen gegen die Perser siegen, wie Aischylos in seiner Tragödie so wahr schreibt, und es gab zu Zeiten preußischen bzw. deutschen Soldaten eine so hohe Kampfkraft, wie es Martin van Creveld als Ergebnis seiner Analysen konstatiert, die mit Feldherrenkunst oder Napoleonischer Genialität niemals erschöpfend beschreibbar ist, weil sie im Religiösen jedes Einzelnen ansetzt (wie immer dies auch geartet sein mag).

Aber wenn der Preußenkönig Friedrich II. bei Leuthen 1757 angesichts zweifacher Übermacht der Österreicher, mit einem Heer, dessen größerer Teil kurz zuvor verheerend geschlagen worden, das zutiefst entmutigt war, vor der Schlacht ein Lied anstimmen läßt, in dem sich jede Seele in Gott begibt, dann ist das etwas völlig anderes als manipulative Motivationskunst, mit der sich Fuzzis heutigen Flachwasserzuschnitts führungsbegabt wähnen, weil sie zu täuschen vermögen. Es wirkt nämlich nur in seiner realen Tiefe, und in ihr begibt sich jeder Preuße dann in die Schlacht, ruhig und gefaßt, bereit zu sterben, in einer entscheidenden Schlacht. Nur so geht jeder dieser Preußen - wie man im Schauspiel weiß - "am Arsche sitzend" voran. Die Umgehungsbewegung zum linken Flügel der Kaiserlichen, die von Historikern später als verblüffend, dabei so waghalsig, notiert werden wird, war nur wegen ihrer unglaublichen Ruhe, Ordnung und Zielstrebigkeit so verblüffend. Niemand kann sich vorstellen, daß diese Armee angreift. Also verlegt man die Reserven voreilig an den rechten Flügel, wo Friedrich einen kleinen Kavallerie-Scheinangriff* gestartet hat. Das machte die Preußen den Österreichern derartig überlegen, daß diese binnen einer Stunde vom linken Flügel her aufgerollt wurden und keine Chance mehr hatten, sich gegen den Angriff zu formieren.

Und das macht den Krieg in diesem Sinne "heilig" - als Weg zu Gott, der die Liebe ist, die er im Selbstopfer als gottgegebene, göttliche Tugend eingießt.




*Gerade Kavallerie-Attacken sind ja Musterbeispiele für den Wert persönlichen Kampfesmutes. Denn kaum je in der Geschichte wurden Massenattacken dieser Art ausgekämpft. Pferd an Pferd, ist an ein Kämpfen kaum zu denken. Jeder Reiter hat genug damit zu tun, sich am galoppierenden, dabei oft panischen Pferd zu halten. Fast immer aber weicht ein Teil angesichts der feindlichen Heranstürmenden, und das entscheidet. Es weicht der Teil, der moralisch früher zusammenbricht. Sieger ist, wer das Schlachtfeld behauptet.




*251014*