Ein hervorragender Artikel aus der Feder von Konrad Paul Liessmann fand sich dieser Tage in der FAZ. Liessmann bespricht darin die bereits erschreckend fortgeschrittene und allgemein werdende Unfähigkeit, sich schriftlich, sprachlich auszudrücken. Selbst Universitätsstudenten erschrecken mittlerweile, wenn sie schriftlich und in ganzen Sätzen Inhalte zum Ausdruck bringen sollen. Das aber beginnt in den Volksschulen, die von einer Spracherlernung weg hin zu einem "Problemlösen" gehen, in der die Sprache bestenfalls auf Informationsträgerqualität eingeschränkt wird. Kommunikation wird damit auf rein sachliche Information reduziert, die Sprache immer extremer simplifiziert.
Schuld hat eine Didaktik, die das Kind nicht "traumatisieren" will, indem es mit Rechtschreibung konfrontiert wird. Jeder soll "nach Gehör" schreiben, und sich so seine eigene Grammatik und Rechtschreibung zusammenstoppeln.
Aber Sprache ist mehr. Sie ist nicht angeboren, und das verweist auf ihre Rolle als Kulturträger. Wozu aber braucht der Mensch Kultur? Das ist die eigentliche Kernfrage, die Liessman hier aber nur streift, wenn er schreibt, daß Menschen, die sich nicht mehr der Sprache überlassen können, die nicht mehr durch Sprache denken können, zur Geistlosigkeit verdammt sind. Dazu braucht der Mensch Kultur, in ihrer Untrennbarkeit von allgemeiner Kultur, und dabei: von Sprache.
Diese muß erlernt werden. Erst dann wird klar, daß die Sprache selbst ein geistiger Schatz ist, aus dem nur der zu schpfen vermag, der ihre Logik, ihre Grammatik beherrscht. Denn in dieser steckt geistiger Inhalt, der von Generation zu Generation weitergegeben wurde und wird. Oder nicht. Das erfährt aber nur der der begreift, daß Sprache nicht einfach nur subjektive Gedanken ausdrückt, sondern in sich eine Dynamik trägt, die DURCH Sprache, durch das Schreiben denken macht. In dem Moment, in dem man sich ihr ausliefert, und ihre immanente Logik, im Dialog mit eigenen Impulsen, entfalten läßt. Logik ist die bereits fleischgewordene Welterkenntnnis, ihr zu folgen ist wie an ihrer Hand die Welt zu erfahren, und im Erkennen sich ihr gegenüber verhalten zu können.
Nicht zuletzt wird durch die schulische "Pisa-"Didaktik eine Generation nach der anderen von den Schätzen der Literatur unserer Sprache abgekoppelt. Sie können sie nicht mehr heben, sie können sie nicht mehr begreifen, weil sie verlernt haben, daß sie von Sprache geformt werden - nicht, sie formen. Diese Richtungsumkehr ist es auch, die der VdZ schon vor zwanzig Jahren heftig kritisiert hat, als mit der grotesk verworrenen Diskussion um die schließlich verordnete Rechtschreibreform, deren Ziele vor allem diese nun auf uns zurückfallende Simplifizierung waren, die Richtungsumkehr im Verhältnis zur Sprache (aber überhaupt zu jedem zu Erlernenden) in Wahrheit zur Diskussion stand.
Plötzlich wurde Sprache zu etwas beliebig von jedem Kind bereits Machbaren, als wäre sie in jedem je neu geboren, und kein Kulturgut, das es zu schaffen galt und gilt, und an dem jeder, der dieser Sprache mächtig ist, im Maß seiner Sprachbeherrschung wenigstens theoretisch teilhaben kann, indem er ihrer mächtig wird. Unter dem Totschlagwort "Erlernen von Kritikfähigkeit" sieht sich heute stattdessen jeder Fünfjährige bereits ermächtigt, selbst zu entscheiden, was sinnvoll ist und was nicht. Damit bleiben die Menschen aber im Stadium der Kleinkinder gefangen, sie werden bestenfalls durch Schicksalsschläge über diese Grenzen getrieben. Wer aber in sich bleibt, in seinen Ansprüchen und Antrieben gebunden bleibt, kann sich nie zum Geist erheben.
Liessmann schreibt, daß wir heute bereits an den Schulen direkt und methodisch Analphabetismus erzeugen. Schon jetzt können viele Kinder und Jugendliche nicht mehr mit der Hand schreiben, bestenfalls Tasten einer Tastatur bedienen oder simple Zeichen von sich geben. Die kulturelle Verarmung, auf die wir hier zusteuern, ist gar nicht drastisch genug ausmalbar.
Der Mensch hat (in gewisser Hinsicht) die Aufgabe, sich selbst zu schaffen. Aber er kann es nicht "aus sich", sondern er muß sich als Teil einer Kultur schaffen. Sie ist erst das Material, in das hinein und vor allem aus dem heraus sich Menschsein konkretisieren kann. Anders IST es nicht mehr als unerfüllter, im Fortgang des Lebens nicht mehr ordenbarer Anspruch. Anders wird auch nicht das, worum es angeblich heute allen geht: Freiheit, die sich nur aus der Geistigkeit in lebendige Gestalt erheben kann. Hinter der Didaktik des Schreibens, wie sie heute praktiziert wird, steckt also die altbekannte Feindschaft der Kultur gegenüber, die ohne Tradition ins Nichts fällt.
Die Gestalt der Freiheit ist selbst dynamisch. Sie wird erst in der Bindung sie selbst, und damit wirklich weil konkret und real. Sie ist erst vorhanden, wenn sie vollzogen wird. Nicht, wenn der Mensch entbunden von allen Regeln und Vorgaben einfach sich selbst überlassen bleibt. Denn er ist kein erster Schöpfer, der sich eine beliebige Welt aus dem Hut zaubern kann! Glaubt er das aber, wird er ohne es zu merken impotent, dreht sich in sich selbst - und in seinen Unfreiheiten und Getriebenheiten. Denn Freiheit heißt in erster Linie, "von sich selbst" frei zu sein. Erst dort entsteht Geist - im freien Verhalten zu eigenen Antrieben, im sachgemäßen Gestalten von Welt. So muß Objektivität verstanden werden, als Freiheit zur Objektgemäßheit, als Freiheit von subjektivistischer Getriebenheit.
***