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Montag, 20. April 2015

Befreiungsbewegung Islam (1)

Das Erstaunliche, schreibt Hilaire Belloc in "The Great Heresies", ist nicht, daß der Islam sich derartig rasch im 7. Jhd. ausbreiten konnte. Das Erstaunliche war eher, daß er doch so nachhaltig auf Widerstand stieß. Denn er paßte auf die gesellschaftliche Situation der unterworfenen Länder, Völker, Gebiete, wie die Faust aufs Auge. Er war nicht nur eine Reformation, die mit der Reformation unter Luther (zuvor: Husz! auch das eine soziale Bewegung, die sich religiös unterfütterte; so wie sämtliche der "Erneuerungsbewegungen" in der Kirche im 11.-13. Jhd. - welche Parallelen zur Gegenwart!) völlig vergleichbar in Europa über den Kontinent brauste, mit genau derselben rasenden Geschwindigkeit. Er war eine Bewegung der Hoffnung auf eine Befreiung aus schwieriger Lebenslage.

Denn das römische Reich (und man möge das alles ins späte Mittelalter sowie in die Gegenwart übertragen, nur die Begriffe wechseln) stöhnte unter hoher Steuerlast, weit ausgebreiteter Sklaverei (siehe: Fronarbeit der Bauern, und ihre gesellschaftliche Stellung), einem hoch komplexen Rechtssystem, das dem einfachen Volk kaum direkten Zutritt gewährte, hoher Verschuldung, und noch dazu einem offenbar hoch komplexen Glaubenssystem, das der einfache, ungebildete Mann kaum nachvollziehen konnte. Dazu kam ein hochkomplexes gesellschaftlich-hierarchisches System, dem einerseits die alten Sicherheiten abhanden gekommen waren, und anderseits fast "wilde" Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnisse brachte.

Der Islam hingegen faßte die Grundlehren des Vorhandenen - der Kirche, des Christentums - in einigen Kernaussagen über Gott zusammen (weshalb Belloc den Islam sehr wohl als katholische Häresie sieht), simplifizierte ihn allerdings entscheidend. (s.u. Exkurs)

Indem er alles ablehnte, was kompliziert zu verstehen war: Die Dreifaltigkeit, Sakramente, Gnadenlehre, natürlich die konkrete kirchliche Struktur, und das Allerschwierigste, weil es immer ein Geheimnis bleibt, aber das Entscheidendste: die Inkarnation Gottes in Jesus Christus.² Dazu mischte er Fragmente alter, heidnischer Religionen, von denen sich niemand trennen wollte, behandelte mit vergleichbarer "Sorgfalt" solche aus dem christlichen Raum, wie die Jungfräulichkeit Mariens, kompilierte das alles zu festen Lebensregeln, und fertig war die "neue Religion".

Da kam also ein simpler, heidnischer Ziegenhirte aus der Wüste (Belloc geht von der Historizität Mohammeds aus; daß dies ein höchst heikler, fraglicher Punkt ist, wird an dieser Stelle noch behandelt werden) - Signal für die "Unterdrückten aller Völker", Symbol für die reale Gleichheit aller Menschen, fast so etwas wie ein "amerikanischer Traum" (!) - und reduzierte die jüdische und katholische Doktrin, soweit er sie überhaupt kannte (nicht selten kennen Reformatoren, Neugründer das Abgelehnte gar nicht wirklich), so radikal, daß sie der einfache Mann von der Straße plötzlich "verstehen" konnte. Häresien haben den seltsam erscheinenden Zug an sich, verstandesmäßig "leichter" als die Ausgangsthese zu verstehen zu sein.

Schon gar, weil diese neue Religion der Sehnsucht nach Befreiung von so manchem als Bedrückung Erlebten versprach. Da spielte es gar nicht so viel Rolle, daß in der Praxis diese Hoffnung gar nicht so einfach erfüllt wurden - der Mythos des Islam, sein Ruf war entscheidend. Das war ja im Protestantismus auch nicht anders. Und dann war da diese höchst simpel nachvollziehbare Lebensordnung, die der Islam anbot. Nun war alles geregelt und übersichtlich. Während im Römischen Reich soziale Gewißheiten, Gewißheiten des alltäglichen Handelns, in der Auflösung weitgehend verdunstet waren.** 

Das Gefühl der (nach)antiken Zeit war ja, wie viele Quellen übereinstimmend berichten, ein Verschwinden aller Sicher- und Gewißheiten. Das Zerfall Roms, das Einwandern großer Menschenmassen ("Völkerwanderung"), die Bedrohung durch Hunnen und Germanen, die die frühere Homogenität der Menschen und Völker, auch religiös auseinanderriß, wurde von der damaligen Welt als Untergang, als Apokalypse empfunden. Denn DIE WELT - das WAR ROM. Nach ihm? Konnte nur noch das Ende kommen.³

Morgen Teil 2) Das Gesicht des Paradieses - sowie: Aspekte und Fußnoten



(Exkurs) Paul Feldkeller zeigt, wie sich bei Häresien immer die Vieldeutigkeit der ursprünglichen religiösen - plurivoken - Begriffe in nominale Eindeutigkeiten aufspaltet, und damit der Inhalt simplifizierend verarmt. Zwar werden dann oft sogar noch die gleichen Begriffe verwendet, aber ihre Bedeutung und damit ihr Verständnis ist verändert. Denn der Häretiker hat etwas im Gefühlsleben, im Abstraktionsvermögen NICHT MEHR, was die ursprüngliche Unschuld der Vollbegrifflichkeiten noch hatte. Nehmen wir die Ablehnung von Bildern im Islam, aber auch anderswo: Der Vorwurf, die Christen würden Bilder als Fetische "anbeten", trifft wohl auf die Kritiker zu, weil sie deren eigene Sichtweise ist, nicht aber auf die Christen (oder zumindest nicht auf die verkündete Lehre).

Durch diesen, auch im zwischenmenschlichen Umgang bekannten Vorgang kann sogar der Träger des ursprünglichen synthetischen Begriffs bei der Abwehr in die Gefahr der einseitigen Häresie geraten, damit zur Anti-Antithese zu werden. Ferdinand Ebner meint genau das, wenn er etwa als Beispiel davor warnt, dem Feminismus mit Anti-Feminismus zu begegnen.   

Um einer Häresie zu begegnen, muß man aber die Antithese nicht nur denken können, sondern auch die Vollthese der Unschuld entreißen. Darum feiern so gut wie immer häretische Gedanken, die sich ja eines Aspektes der Vollthese bedienen, den Teil aber fürs Ganze setzen, aufs erste große Erfolge. Während der Träger des ursprünglichen Vollbegriffs diesen nun erst auf neuer Ebene rekonstruieren muß, sofern das überhaupt geht. Rückschlüsse auf eine zersetzende Wirkung der Massenmedien oder gar des Internet, der social media zu ziehen, ist ausdrücklich vom VDZ gewollt.




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