Vladimir Horowitz in seinem bis heute legendärsten Konzert - der Aufführung des 3. Klavierkonzerts von Sergej Rachmaninow. Horowitz verdankt diesem Werk seinen Ruhm, es ließ ihn beginnen. Er beschrieb später einmal seinen, mit diesem Klavierkonzert legendär gewordenen Auftritt, in dem er kurz nach seiner Emigration überraschend für einen erkrankten Pianisten in New York einspringen mußte, so: Ich begann, und merkte, daß das Orchester, der Dirigent lähmend langsam waren, es war schrecklich. Da war mir irgendwann alles egal, und ich begann so zu spielen, wie ich es empfand. Ich war als erster fertig.
Der VdZ kennt nach wie vor keinen Pianisten (am ehesten noch: Friedrich Gulda), der jeden Ton mit einer derartigen Spannung zu setzen vermag, die sich aus dem Spiel mit dem "mathematischen" Rhythmus, der Beziehung der Töne (zur Melodie) zueinander, ergibt, die Töne also schafft, ehe der Zuhörer sie hört. Daß Horowitz vor allem mit Liszt reüssierte, verwundert deshalb nicht. Kaum ein Komponist verlangt, fordert regelrecht derartige Interpretation, erstirbt aber mit bloßem Virtuosentum zur "Gefälligkeit". Und kaum ein Land würde deshalb so gut zu Liszt passen, wie Ungarn, das schon in seiner Volksmusik diese Kunst der Ton-/Melodiebeherrschung (in der Anwendung der Synkope erkennbar) so im Blut hat. Während Horowitz Beethoven nicht mochte, was das Gesagte bestärkt. Hier stehen zwei Pole einander gegenüber: Mann und Frau. Rechts und links.*
Wobei von der Vinyl-Schallplatte dieses Werk noch deutlicher, voller zu hören ist, selbst wenn der Plattenspieler uralt oder simpel ist - die Tonübersetzung erfolgt "gestalthafter", also wie ein Aufluß von Bild zu Abbild. Digitale Ubersetzung ist bereits eine einerseits enorme Reduktion, anderseits ein in sich unschöpferischer Vorgang, weil er nur von einer Programmierung ausgehen kann, die einen Effekt zu erreichen versucht "wie" ... und damit nur von Vorstellungen - des Programmierers, der weiteren Interpretation somit! - ausgehen kann. Man hört aber im direkten Gegenüber (etwa mit einem Pianisten, stofflich vor einem, im Konzersaal etc.) nicht "einen Ton", sondern MAN HÖRT - als aktiver Prozeß der Interpretation und das heißt: Neuschöpfung, auch im Wahrnehmen, mit der Pflicht zum Gehorsam dem eintreffenden Sinneseindruck gegenüber, um der Wahrheit, der Schönheit des (von Horowitz, von Rachmaninow) Geschaffenen ansichtig zu werden, nicht unserem eigenen Spiegelbild.
Man sieht, man hört immer, wie man selber ist. Die Wahrnehmung ist damit ein Abbild der eigenen Sittlichkeit. In der Digitalisierung hören wir gewissermaßen die Sittlichkeit, die Wahrheit des Programmierers. Auch dieses Video ist also bestenfalls ein "Zitat", einer Photographie vergleichbar, es ist NICHT Horowitz und NICHT Rachmaninow. In der Digitalisierung ist die direkte Abstrahlung des Senders unterbrochen. Das ist nicht so im Analogen. Hier wird es aber neu hergestellt, nach gewissen Kriterien wie eine Erinnerung "jemandes" archiviert. Wir begegnen also in der Konserve nicht mehr dem Ursprünglichen, der Darbietung, sondern einer wie immer zu bewertenden Erzählung davon. Das gilt für die Photographie nicht weniger.
Man sieht, man hört immer, wie man selber ist. Die Wahrnehmung ist damit ein Abbild der eigenen Sittlichkeit. In der Digitalisierung hören wir gewissermaßen die Sittlichkeit, die Wahrheit des Programmierers. Auch dieses Video ist also bestenfalls ein "Zitat", einer Photographie vergleichbar, es ist NICHT Horowitz und NICHT Rachmaninow. In der Digitalisierung ist die direkte Abstrahlung des Senders unterbrochen. Das ist nicht so im Analogen. Hier wird es aber neu hergestellt, nach gewissen Kriterien wie eine Erinnerung "jemandes" archiviert. Wir begegnen also in der Konserve nicht mehr dem Ursprünglichen, der Darbietung, sondern einer wie immer zu bewertenden Erzählung davon. Das gilt für die Photographie nicht weniger.
Horowitz künstlerische Auffassung (die man ihm auch oft zum Vorwurf gemacht hat: als subjektive Verfälschung) drückt sich genau in diesem Spiel mit den einzelnen Tönen am deutlichsten aus. Er schafft nicht die Melodie, das tat der Komponist. Aber er macht das Werk zu einem Ereignis des Augenblicks, und damit zu einem interpretatorischen Werk als Kunst, das es nur hier und jetzt so gibt. Damit wird die (komponierte) Melodie erst zu einer Melodie, die genau so und hier und jetzt so ist.
Wozu der Virtuose natürlich nie in der Lage ist. Der Künstler muß beherrschen, also ist er bestenfalls indirekt auch Virtuose. Aber der Virtuose vermag nie zu schaffen, und wenn er gewissermaßen "technisch besser spielen könnte" als der Künstler, er kann es nur aus einer bereits bestehenden Vorstellung heraus, die er erfüllt. Der Künstler aber schafft etwas, das es noch nie gab. Nur das ist ja Schöpfung.
Also geschieht in der Interpretation Kunst erst in diesem einen Augenblick, und wird durch den Interpreten geschaffen? Wie weit aber? Und: Welche Rolle spielt der subjektive Wille der Interpreten in diesem Augenblick?
Der Aktualismus, wie ihn Horowitz auch vertritt, ist eine Grundsatzfrage in der Kunst, keine der Schnörkel am Streuselkuchen, den man mit oder ohne genießen kann. Sie hat damit zu tun, was der Sinn der Kunst, noch mehr aber eines Werkes, überhaupt ist. Im letzten führt er nämlich zu der hirnrissigen, umso mehr aber verbreiteten Ansicht der Gegenwart, daß "alles" Kunst sei. Denn dann gibt es überhaupt keine Kunst mehr, sondern alles sinkt gleichermaßen zur Banalität. Und der Begriff von "Werk" löst sich auf.
*Aus dieser Gegensätzlichkeit stammt auch das Prädikat "Jüdische Kunst". Hier entscheidet sich, worauf die Wahrnehmung des Rezipienten orientiert wird. Auf die gewissermaßen "abgepackte, etikettierte Gefühlswelt", die es zu bedienen gilt, oder auf die "objektive" Neuschöpfung im Hören. Das ja keineswegs, wie leergeschwemmte Hirne heute daherplappern, aus simplem "Rassismus" stammt. Sondern mit dem dem Judentum zugeschriebenen Subjektivismus - wo Werk zur Weitergabe von Interpretaten wird, Gefühl mit der Aktivierung von vorhandenen Gefühlskonserven - zu tun hat. Darüber noch einmal mehr an dieser Stelle. Hier geht es nämlich um grundsätzliche Auffassungen im Schaffensvorgang, die direkt mit der Religion, dem Zugang zur Welt zu tun haben: Objekt- oder Subjektzentriertheit? Welche Rolle spielt die Konvention? Haben wir den Zugang zu Gott über die trandzendente Reinheit des Mittlers, der sich ans Objektive hingibt, oder gar keinen anderen als den menschlicher Relativität? Ist Ansichtigkeit Gottes im Fleisch möglich weil analogisch präsent?
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