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Donnerstag, 17. März 2016

Der Richter urteilt immer über sich selbst (1)

Nicht die Gesetze eines Landes vermitteln die Lebensordnung, sondern diese wird durch den alltäglichen und sozialen Lebens-Mitvollzug eines Menschen (Erziehung; Kinder im Leben der Familie etc.) übernommen. Jedes Gesetz muß also zwischen dem Typus, nach dem es konstruiert wurde, und dem Einzelfall als der Wahrwerdung des Rechtsbruchs im Leben des Täters vermitteln.

Und weil der Richter sich allzu leicht in Fachsprache verliert, in der das Lebensalltägliche nicht mehr ausreichend vorkommt, er vor allem die Sprache dafür verloren hat, gibt man ihm Laienrichter bei. Die genau das bekümmern soll: Die Alltagssprache mit der Sprache des Gesetzes übereinzubringen. Dadurch erst wird die Verstehensebene auf beiden Seiten - Richter und Täter - befriedigt. 

Denn auch der Richter muß ja den Täter verstehen - wobei verstehen, wie Arthur Kaufmann schreibt, eben keineswegs heißt, daß es auch schon verziehen ist.

Das Urteil in einem Strafprozeß durch einen Richter ist deshalb nur als Gewissensurteil im Richter selbst möglich. Der Richter muß auf zwei Ebenen stehen können weil auch in die Täterebene eintreten können. Ein Urteil über eine unverstandene Sache ist ja eigentlich gar nicht möglich, hier bliebe bestenfalls noch starre Kasuistik. (Der Geistesgestörte, dessen Tag eben nicht verstehbar ist weil sie sich dem typischen menschlich-alltäglichen Verhalten entzieht, wird deshalb meist auch nicht verurteilt, sondern der Gesellschaftssphäre entzogen, indem man ihn in Sicherheitsverwahrung nimmt, ihn in eine "Anstalt für abnorme Gesetzesbrecher", eine Heilanstalt u. ä. verbringt.) Nur was verstanden werden kann ist zurechenbar.

Aber der Richter MUSZ eben urteilen. Und er tut es im Verstehen des Täters und der Tat, und genau darin erkennt er das Typische des Rechtsbruchs. Denn eine Tat ist ja keine statisch-mechanistische Konstruktion, sondern bewegt sich im Rahmen von Beziehungen.

Als Beispiel: Salzsäure ist an sich keine Mordwaffe. Jemandem Salzsäure einzuflößen bedeutet nicht einfach nur "Nötigung", weil Salzsäure eben keine Mordwaffe, sie zu kaufen keine Straftat ist, sodaß also nur die Tat des Aufdrückens eines Mundes bliebe. Was für sich auch keine Straftat ist. Wie bei einer Erste-Hilfe-Aktion sichtbar wird, in der der Sanitäter den Mund eines Ohnmächtigen aufdrückt, um einen Sauerstoffschlauch einzuführen. Auch der Haß als Gefühl ist nicht strafbar, jeder Mensch hat es zuweilen und kennt dieses Gefühl. Und ebenso wenig ist das Herantreten an einen Menschen von hinten eine Straftat. Wenn aber jemand an einen anderen von hinten herantritt, ihm an den Mund greift, diesen aufdrückt, und dem vor Schreck Erstarrten Salzsäure einflößt, hat dennoch etwas für "Mord" Typisches, wie das normale Rechtsgefühl und die Alltagssprache sagt, und IST deshalb (im Beispiel) tatsächlich auch ein als solcher abzuurteilender Mord.*

In diesem Verstehen, und darauf soll es hier ankommen, passiert etwas anderes: Der Richter nimmt die Stellvertretung (sic!) des Täters ein. Im Verstehen wird eine Tat nämlich (stell)vertretbar. Der Richter urteilt also "als wäre er der Täter vor dessen eigenem Gewissen" - welch letztere Norm in den Gesetzen dargelegt wird.**

Falsch und ungerecht wäre ein Urteil, das sich darauf bezöge, daß Salzsäure keine Waffe, Herantreten von hinten keine böse Tat, das Aufdrücken des Mundes kein Verbrechen sei.





Morgen Teil 2) Warum ein Richter urteilen MUSZ - 
Angemerkte Aspekte, darunter: Warum die Todesstrafe gerecht sein kann





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