In dem Moment, wo das Ideal des Lebens in Gott nicht mehr die Armut - Äquivalent zum Sterben als Tor zur Übernatur, als verbindendes Glied also - ist, in dem Moment ist die Tür geöffnet zur Möglichkeit, daß ein Leben mit Gott ein Leben in Reichtum sei. In dem Moment sind Güter und Besitz ein Weg zu Gott, und nicht mehr - wie zuvor - ein Weg von Gott weg, wie es die Heilige Schrift viele Male erzählt.
Damit hat sich im 13. Jahrhundert, wo das eintrat, die Tür zum Protestantismus und noch deutlicher: zum Calvinismus geöffnet. Der sogar die These vertritt, daß Reichtum ein Zeichen für ein Leben in Gott ist, während Armut Verdammnis und Nicht-Errettetheit aussagt.
Es war aber auch das Jahrhundert des Geldes, das erstmals nach der Römerzeit wieder in so hohem Umfang und in neuer Rolle (sic!) aufkam, daß es mehr und mehr zum Träger der Entwicklungen wurde. Und mit ihm kehrte sich in rasendem Tempo das Prinzip des gesellschaftlichen Lebens vollkommen um:
Aus einer Liebesgemeinschaft (als Ideal), in der jeder jedem diente, und es nicht nur nicht mit Gewinnabsicht tat, sondern im Gegenteil, im Geben das entscheidende und schöpferische Moment sah (und mit Recht, wollen wir hinzufügen), wurde eine berechnende Gesellschaft und Kultur. In der Geld das freie Spiel der göttlichen Vorsehung (meinetwegen nennen wir es: Schicksal, oder besser: Geschick) auszuschließen begann. Wer nicht beichtet, muß eine gelungene Welt beweisen.
So ist die direkte Antithese zur vormaligen Grundthese des Abendlandes definitiv im 13. Jahrhundert gesetzt worden. Das jenes Jahrhundert war, in dem sich Geld und Wert zu einem eigenen Ding entwickelt hat, das aus seiner abstrakten Natur heraus das Insgesamt der Lebenserscheinungen, das ein dichtes Gefüge der Welt war, zu dominieren begann. Die Welt wurde auseinandergerissen.
Also ist es auch kein Mirakel, daß exakt dieses Jahrhundert auch jene Epoche war, in der die mechanische, über Takt sich bewegende Uhr nicht nur erfunden wurde, sondern in hohem Tempo Verbreitung und Anwendung fand. Sie begann nun das Auseinandergerissene zusammenzuhalten, und diktierte dabei die Welt, die sie abzustimmen begann. Sie war es nun, die den Verlust des Ineinander der Dinge, die sich wechselseitig abstimmen (weil alles Gelingen, also alles Seiende, eine Frage des Zusammentreffens, also der Vereinbarung ist), durch mechanische Vorgänge ersetzte.
Die kein Leben "in Gott" mehr verlangten, um stimmig zu bleiben. Sodaß jede Unstimmigkeit in einer Abkehr von Gott zu begründen war, wobei man damit leben mußte, daß eben die Welt unvollkommen ist, WEIL der Mensch es kraft der Folgen der Erbsünde ist. Nunmehr lag das Gelingen in der Vereinbarung.
Also nimmt es auch nicht wunder, daß eben in diesem "langen Jahrhundert" (wie Jacques Le Goff es nennt, weil sich eine sehr geschlossene Epoche zeigt, die aber genau genommen von den 1160er Jahren bis zu den 1330er Jahren dauerte, als die Pest einbrach und vorerst alles stoppte) in der Beweiskraft erstmals der schriftliche Vertrag das Obergewicht vor der mündlichen Vereinbarung erlangte.
Alle diese Erscheinungen aber gehören in eine Reihe. Sie sind Ausdruck ein und desselben prinzipiellen Geschehens, in dem der Mensch Gott gegenüber mißtrauisch geworden ist. Warum? Weil das, woran der Mensch festhält, der Welt "gestohlen" ist. Das alleine wäre nicht das Problem, aber das war es: Der Mensch wollte es nicht mehr hergeben.
Sodaß sich die Sünde als beherrschende, aber notwendig verborgene, fortan aber sogar führende, bestimmende Stimmung bahn brach ...
Was nun kommt, was wir von dort an als Geschichte vor Augen haben, wird zunehmend ausschließlicher zu einem Versuch, die Sünde zu rechtfertigen und vor Gottes Augen zu verbergen.
Aus der Hand Gottes gerissen, mußte aber nunmehr alles der menschlichen Bestimmung zubehörig werden. Es mußte zählbar, wägbar, vergleichbar, bewertbar, berechenbar werden. Nach und nach formierten sich die König- und Fürstentümer zu Staaten, nach und nach entstand ein Rechtssystem, das aus einer eigenen Logik heraus Recht zu sprechen begann, nach und nach wurde die Finanzbuchhaltung in den königlichen Kassen etabliert, nach und nach stieg überall - und wirklich überall und in jeder gesellschaftlichen Schichte - das Maß der finanziellen Verschuldung, und damit weiter die Bedeutung des Geldes und des Zinses.
Das Abendland wurde in diesem langen 13. Jahrhundert zu einer Welt, in der sich Mathematik und Welt, Geist und Natur im Nominalismus, ja sogar die Zeit und Natur - als fortan Zeit versus menschliches Gefühl und menschliches Ereignis, ein Geschehen von immenser Folgewirkung! - endgültig als zwei einander fremde, wesenhaft "andere" Dinge gegenüberstanden. Sodaß nicht mehr eines aus dem anderen hervorging, eines nur eine andere Ebene des anderen war. Die Bedeutung der Zahl änderte sich somit. Sie wurde vom Weltsymbol zum bloßen Zeichen.
So nebenbei stellte die Uhr die Sphäre des Öffentlichen mit der technischen Weiterentwicklung (Kleinheit, Transportabilität) immer mehr ins Private durch, das so durch das Öffentliche bezwungen und "geordnet" wurde.
*040920*
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