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Mittwoch, 9. September 2020

Könnte vorkommen

Der Faden, der in der Wahrheit verankert sein läßt, ist oft sehr dünn, manchmal kaum wahrgenommen und wahrnehmbar. Vor allem, wenn die innere Kultur etwas vernachlässigt wurde, gewinnt die äußere Welt eine Bestimmungsmacht, die von der eigentlichen Lebensgrundlage, der Wahrheit, entfernt. 

Geist erstarrt in diesem Außen aber zu Bildern, die wie Krücken eine Welt konstruieren und bewahren sollen, die der Existenz Halt und damit Sein gibt. Dieses Sein aber ist ein Dasein, das nur in unserer Hand liegt, und damit keine Quelle des Lebens sein kann, sondern nur eine Imitation des Lebens, bewertet, beurteilt weil verglichen mit vorhandenen Bildern samt deren Platz im Autoritätsgefüge der Gesellschaft, in der man sich befindet beziehungsweise befinden will, zuläßt.  

Wir haben verlernt, und aus unserem vermeintlich "Gewußten" läßt es sich auch nicht (mehr) ableiten, daß der Mensch, der immer Person ist, letztlich immer einsam und "allein" ist. Erwachsenwerden als der notwendige Weg jedes Menschen zu sich heißt nichts anderes als diese Einsamkeit zu akzeptieren und ertragen zu lernen. Heißt um den einzigen Sinn der Nahrung zu wissen, die darin besteht, sich in diese Welt hinein zu erheben. 

Und das ist immer ein Akt des Alleinseins, weil jeder Mensch in einer Einzigartigkeit lebt, die nur von ihm zu bewältigen ist, und die nur von ihm zur Geschichte zu erheben ist, die Sein hat, und nicht Epigonalität, Plagiat und Imitat ist.

Es kann nie darum gehen, diese Einsamkeit zu überwinden. Alle Angebote, die das versprechen, sind häßliche Fratzen der Versuchung, Gold gegen Blech zu tauschen. Es muß vielmehr darum gehen, in dieser Einzigartigkeit den Ort mit Leben und Farbe zu erfüllen, an dem man steht. Was anderseits wiederum heißt, das diesen Ort Charakterisierende - das das Wesen eines Beziehungspunktes hat, an dem sämtliche Fäden der vielen horizontalen wie vertikalen Ebenen der Welt, in der man steht, zusammenlaufen - durch alle einzigartigen Umstände, die mit jedem Tag auftauchen und einem begegnen, durchzutragen. 

Sodaß die immer selben Figuren (weil Orte) in nur je anderen Kostümen auf der Weltbühne auftreten, leben, und das Geschehen, die Handlung ausmachen. Die selbst wiederum ein immer Gleiches in nur je anderem Gewand ist.

Lassen wir uns also in zweifacher Hinsicht nicht täuschen. In der Natur dessen, was "Neu" und "Originär" ist ebenso, wie in der Tatsache, daß dieses Neue das immer Gleiche des Ewigen im Vorsehungsplan Gottes ist, dessen Originalität darin besteht, in jeden Augenblick je neu hineingeborgen zu werden. Auf daß sich Geschichte überhaupt erst bilden kann. Was immer heißt: Einzig zu sein, und damit: Einsam.

Denn genau darum geht es heute, in einer Zeit, die sich um genau diese Punkte herum ordnet: Im Versuch, für diese beiden Momente Surrogate zu erfinden. Sodaß das Neue das Willkürliche wird, dem aber jedes Sein fehlt, das nur in der Hoffnung auf eine kollektive, allumfassende Illusion und Täuschung überhaupt Sein hat, also "existiert", und in der Versuchung, die Einsamkeit durch Aufgehen in der Masse (oder im Nichts, beides dieselben Fluchten der Angst vor dem Wagnis des Lebens, beide mit demselben Ausgang) scheinbar besiegen zu können.

Im Mut zum Hinausschreiten ins Ungewisse, das erst das Tor zur Fleischwerdung des Ewigen (dem überhaupt erst Entelechie zugeschrieben werden kann; hierin irrte also Aristoteles, der diese Entelechie, dieses "Ausfalten auch sich, gemäß dem eigenen Wesensbild", dem materialen Seienden selbst zuschrieb) bedeutet, erfüllt sich erst dieser von jedem Menschen gewußte, gefühlte, geahnte Anspruch, der Leben bedeutet: Im Schöpferischen, liegt dann das Neue ebenso, wie das Originale, das Genie. 

Aber nicht nur! Denn hier, in diesem mutig aufgenommenen Wagnis der Einsamkeit, liegt tatsächlich der Punkt der Nicht-Einsamkeit - in der Einigung mit Gott, der personalen Wahrheit, dem Sein, aus dem alles entspringt, durch teilhabende Einheit in der Wahrheit. Von hier aus ist dann auch Einheit unter Menschen nicht nur möglich, sondern Realität.




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