Wenn Kehlmann in seiner Eröffnungsrede zu den diesjährigen Salzburger Festspielen erzählt, daß ausländische Freunde ihn unverwandt fragten, was denn das solle, was sie am Theater hierzulande zu sehen bekämen, und Kehlmann dann darauf hinweist, daß man bei solchen Diskussionen sofort ideologische Anwürfe - "reaktionär" etcetra - zu erwarten habe, so ist es ein erster Befreiungsschlag, der zu begrüßen ist.
Aber es kann noch erweitert werden: ausländischen Freunden von mir ist es nie verständlich, wenn man ihnen andeutet, in welchem Ausmaß hierzulande ideologische Kämpfe geführt werden. In welchem Ausmaß hierzulande eine ideologische Diktatur versucht, das gesamte Leben, und wieviel dabei die Meinungsbildner, wieviel die Kunst, unter ihre Fuchtel zu bekommen. Und dies über Masse, Meinungsmanipulation und Lüge wie bedenkenlos gerechtfertigter Verleumdung via Ressentiment-Erzeugung tut.
Es ist ausländischen Freunden nicht vorstellbar, in welchem neurotischen Klima man hierzulande zu leben hat, das einem Klima der Diktatur kaum nachsteht.
Es ist ausländischen Freunden nicht vorstellbar, daß es Kunstdiskussionen gibt, die andere als Form- und Gestaltprobleme haben. Daß politisch-moralische, ideologische Opportunität weit mehr zählt. Daß Verbildetheit auch Beurteilungskriterien bis in die Irrelevanz verschoben hat.
Es ist deshalb ausländischen Freunden nicht vorstellbar, wieviel Mut Kehlmann aufbringt, wenigstens anzudeuten, wie bedrückend und eng das geistige Klima in diesem Lande ist. Eng gemacht gerade von jenen, die nicht Kunst, sondern "Gesellschaftsveränderung" auf ihre Fahnen geschrieben haben, und "haltet den Dieb" schreien, während sie die Beute unter sich aufteilen.
*250709*