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Dienstag, 28. Juli 2009

Ich glaube nicht mehr nur an das Gute im Menschen


Schwester Isa Vermehren († 2009) über ihr Leben (aus: Kirche in Not)

Sie hatten einige Markenzeichen: Zum einen die Ziehharmonika, zum anderen „ein unglaublich freches Gesicht“, wie die Presse damals schrieb. Das dritte war, dass Sie so unbekümmert gesungen haben. Da hätten sich die meisten Leute sicherlich gewundert, wenn sie gewußt hätten, daß in Ihnen bereits ein ganz anderer Geist arbeitete. Ein Geist, der Sie 1938 zur Konversion brachte. Wie kam es dazu?

Gottes Wege sind wunderbar. Das ist sicher eine Gnadenführung gewesen. Wir wurden ja so stark indoktriniert von den Nazis. Als Kind hatte ich mir oft Fragen gestellt: Was ist das hier eigentlich? Worauf kann ich setzen? Was will ich werden? Worauf kann ich mich verlassen? Wofür will ich leben oder auch sterben?

Diese Fragen nach Wahrheit und Religion waren für mich quälend. Sie haben mich beschäftigt. Dieser Prozeß des Denkens und Fragens wurde durch die Nazi-Erziehung herausgefordert und beschleunigt. Ich hatte das Glück, in Berlin in eine Gruppe überzeugter Katholiken zu geraten. Diese Leute waren so beeindruckend.

Sie haben die Konzentrationslager Ravensbrück, Buchenwald und Dachau überlebt. Davon handelt Ihr Buch „Reise durch den letzten Akt“. An mehreren Stellen taucht eine Erkenntnis auf, die Sie im KZ gewonnen haben: Daß das, was wir als das natürlich-menschliche ansehen, wie Freundlichkeit und Güte, gar nicht so natürlich-menschlich ist, sondern auf einer kulturellen Tradition beruht. Was hat Sie zu dieser Erkenntnis gebracht?

Das Konzentrationslager ist eine ungeheure Schule des Glaubens gewesen. Was die Aufseher den Gefangenen angetan haben, das war immer jenseits des Anstands. Dieser Umgang mit den Häftlingen war furchtbar rau und kränkend, ungerecht und brutal. Sie wurden verhöhnt und geschlagen.

Genau das hat sich auch Jesus Christus von uns gefallen lassen. Das muss einem wohl erst geschehen, damit die Liebe und Treue zu Christus in die Bewährung kommt: „Was ihr dem Geringsten tut, das tut ihr auch mir.“ Das ist nicht nur das Gute, sondern auch das Böse.

Das Menschenbild hat sich geändert in dieser Zeit. Ich glaube heute nicht mehr nur an das Gute im Menschen. Die Möglichkeit dazu hat jeder sicherlich, aber wenn sie nicht gepflegt und kultiviert wird, wie etwa Höflichkeit oder Ehrlichkeit, dann kommt es nicht dazu. Das hat mich auch in meiner Zeit als Lehrerin begleitet.





*280709*