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Freitag, 17. Juli 2009

Wo Unschuld eine Seltenheit ist

Die Argumente für die Einführung eines für alle gleichermaßen verbindlichen Rechtssystems waren im alten Rom keineswegs eindeutig, denn sie machten die Prinzipien eines technizistischen Bürokratismus zur Grundlage eines Volkes, ersetzten Stand durch Klasse, wie Max Weber es a. a. O. nennt. Franz Altmann zitiert in "Italien und Rom" beeindruckende Gegenargumente (u. a. aus Livius):

... der König sei wenigstens ein Mensch gewesen, der nicht nur zürnen, sondern der auch habe verzeihen können. Recht und Unrecht sei von ihm nur nach dem Maß des Notwendigen festgestellt worden, wobei der Herrscher freundliche und feindliche Gesinnung unterschieden und Gnade habe walten lassen. Das Gesetz dagegen sei starr und allen Bitten gegenüber taub. Es helfe mehr dem Schwachen als dem Mächtigen, es kenne keine Verzeihung in einem Leben, darin Unschuld inmitten menschlicher Hinfälligkeit eine Seltenheit sei.

Altheim zeigt auf, daß mit der Durchsetzung des Zwölf-Tafel-Gesetzes auch das vorher sehr ausgeprägte Asylwesen Roms (das auf vielfache Amnestie hinauslief) nahezu verschwand. Der Rechtsbegriff wird systematisiert, und das Rechtswesen muß danach streben, ausnahmslos vorzugehen und jeden Rechtsvorgang, der nicht auf rein rechtlichen Erwägungen beruht, auszuschalten. "Während man der Plebs auf der einen Seite gegeben wurde, hat man ihr auf der andren eben dadurch genommen. [...] Nicht ihre beginnende 'Befreiung' liegt vor, sondern nur ihren Herrn hat sie gewechselt. An die Stelle des jeweiligen patrizischen Patrons ist ein Größerer getreten, nicht die Plebs, sondern der Staatsgedanke hat gesiegt."

Das Rechtssystem - mit dem beeindruckend gestellten Volkstribun - Roms seit der Königszeit (also: noch VOR den Zwölf-Tafel-Gesetzen) war, soweit es den Plebs (also den Nicht-Patrizier) betraf, zunehmend revolutionären, rebellischen Ursprungs, auch in fallweiser Gegenwehr gegen Tyrannei. Wobei: auch die Abschließung der Kreise des Patriziats, die die Kluft zum Plebs erst so groß machte, erfolgte etwa zehn Jahre NACH der entsprechenden Organisation des Plebs (ca. 495 v. Chr.) als schutzartige Gegenreaktion. Das Volk hatte sich über die Tribune zunehmend ein Gewaltrecht ausgebaut, das tief in das Staatsgefüge eingriff, und von einer Vorherrschaft der Patrizier war ohnehin keine Rede mehr: es gab stattdessen pausenlose Machtkämpfe, wo nur noch jeweilige Schwächen des Gegners zu Machtverschiebungen führten - bis das Faustrecht herrschte, sich regelrecht zwei Staaten anstelle eines gebildet hatten.

So wurde um 450 daran gegangen, ein einheitliches Gesetz für alle abzufassen. Und es entstand, nach griechischem Vorbild und vielerlei Anleihe, aber dennoch sehr original, das Zwölf-Tafel-Gesetz, die Grundlage aller weiteren römischen Staatsgeschichte. Die Inkraftsetzung dieser Rechtsgrundlage erfolgte durch eine "Volksabstimmung" - somit auf der Grundlage eines consensus omnium.

In jedem Fall aber, so Altheim in "Italien und Rom", brachte die Einführung des staatlichen Rechtssystems keine Veränderung, schon gar nicht der Eigentumsrechte. Sondern lediglich eine Verschärfung (weil Betonung der Ausnahmslosigkeit und Unbarmherzigkeit), eine Zwischenschaltung des Staates. Aus privater Rache wurde staatliche Strafe. Der Staat untersagte Willkür, übernahm nur die Abwicklung vormaliger Rache und Strafe. Wodurch er den Gläubiger beziehungsweise Geschädigten aber zur Ausübung zwang. Und damit stellte sich an die Stelle der Stände ... ein Staat mit einem einheitlichen Staatsvolk.

Nach wie vor durfte der Dieb (natürlich fast immer aus der Plebs) bei Nacht ertappt erschlagen werden, nur mußte der Bestohlene diesmal laut schreien, während er ihn erschlug, um so Öffentlichkeit zu zitieren.




*170709*