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Mittwoch, 4. Dezember 2013

Freiheit bedeutet Adel

Es ist nicht ohne Interessantheit, was Pirenne über die Entstehung des Adels schreibt. Immerhin ist Pirenne ein profunder Kenner der Materie.

Denn er meint, daß die Gleichsetzung der Bedeutung von "Adel" mit "Freier" im 10. Jhd. noch allgemein war. Sodaß JEDER, der FREI war, auch ADELIG war. In dieser Bedeutung ist es in die Zeit fortgewachsen. In den schneller als Deutschland sich entwickelnden Gesellschaften von Frankreich und den Niederlanden lebt das selbst in der Namensgebung - "de", oder "van", die von Deutschen als "Adelsprädikate" verstanden werden, in den betreffenden Ländern aber zum Teil sogar gar nicht - noch fort. Und in der Antike wurde er ohnehin nur so verstanden.

Nicht Adel bedeutet Freiheit - sondern Freiheit bedeutete Adel.

Nur der Umstand, daß viele, manchmal ein gesamte Bevölkerung, diese Freiheit aufgab oder aus wirtschaftlichen Gründen* aufgeben  mußte, und daß sich aus dieser Konzentration der Verantwortlichkeit auf immer weniger eine Art "Schichte" herausbildete, hat zu dem geführt, was in den deutschen Ländern den Begriff "Adel" nach heutigem Verständnis herausgebildet hat. Die Reduzierung der Freien war es also, die den Adel zu einem "Stand" machte.

Selbst, wenn man sagt, daß sich der Adel hier aus der Übernahme von Verwaltungsaufgaben, dort aus der Dienstpflicht zur Waffe - also dem direkten Dienst am König, am Staat - entwickelte, so ist soziologisch klar, daß es nur aus dem Bauernstand heraus, sowie aus der Schichte der römischen Beamten, die auch in unseren Ländern noch verblieben waren, zu solch einer Schichtenbildung kommen konnte. Wer wäre sonst dagewesen?

Aber ADEL und FREIER ist in seiner ursprünglichen Bedeutung synonym. Auf beide wurden die alten Rechtsgefüge des Familien- und Sippenrechts angewandt, sie waren rechtsfähig. Aus der faktischen Entwicklung heraus wurde dieses Recht aber zunehmend auf immer weniger anwendbar, und dieselbe faktische Entwicklung führte zur Erscheinung der "Leibeigenen".

Hier sei mit besonderer Innigkeit auf den Vergleich der Entwicklung in Bayern und Tirol hingewiesen. EIN Volk, eine Bevölkerung - ZWEI völlig unterschiedliche Entwicklungen! Die Tiroler, die bis heute sogar ihr Recht auf Waffentrage ("Schützenvereine") aus der Pflicht zur Landesverteidigung heraus bewahrt haben, waren immer FREI. Sie haben auch topographisch bedingt ihren Kampfgeist nie aufgegeben.** Im nur einen Bergkamm entfernten (und außerdem einfacher zu bewirtschaftenden) Bayern hat sich ein System der Großgrundbesitzer herausgebildet, in dem nur wenige diese ursprüngliche Freiheit behielten.



*Die mikroökonomischen Mechanismen einer Konzentration von Grund und Boden, dem Übergang vom Besitzer zum Pächter, sind vielfältig und komplex, und zu allen Zeiten und aller Orten recht ähnlicher Natur. Vor allem Ackerbauern (Kornfrüchte haben weit geringere absolute Spannen als etwa Viehzucht) waren davon betroffen. Nur einige der so häufigen Mißernten hintereinander, bei dem allgemeinem Geldmangel damals sowieso, und ein kleiner Landherr konnte ruiniert, in die Abhängigkeit genötigt sein, um zu überleben. Längerer Kriegsdienst, der jedem Freien oblag, hieß zudem längere Abwesenheit vom heimatlichen Hof, war damit doppelt belastend.

**Bis in die neueste Zeit hinein: Als im August 1915 Italien Österreich völlig überraschend iin Südtirol angriff, waren es rund 90.000 einfache Tiroler (an sich wehrunfähig erklärte) Bürger, vom Schüler bis zum invaliden Greis, die mit einfachsten Mitteln die vielfach überlegenen Angreifer wenigstens so lange gehemmt, bis nach drei, vier Wochen reguläre österreichische Truppen von der Ostfront herangeführt waren. Von den Kärntnern 1919 - gegen jugoslawische Truppen - ist nicht viel weniger zu sagen. Daß dies alles heute, in Zeiten, wo Freiheit überhaupt kein oder bestenfalls ein "ja, auch irgendwie" Wert mehr zu sein scheint, nicht mehr verstanden wird, wundert nicht. Wie früher, wird Wohlstand gegen Freiheit eingetauscht. Die Menschen waren immer gleich.





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