Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 7. Dezember 2013

Schleichender "brain drain" (2)

Teil 2) Das Schwache will sich selbst aufzusparen




Zurück blieben in allen Fällen, bei Siegern wie Besiegten, die Schwächeren, der Pöbel, die Dienstunwilligen, die Untüchtigeren, denen die wehrtechnisch so bedeutenden Begriffe wie Ehre, Mut, Todesbereitschaft und Vaterlandsliebe immer unwichtiger wurden. Schichten, die den bequemen Wohlstand, und sei er noch so bescheiden (denn die Masse der Bevölkerung lebte auch in diesen Zeiten karg und ärmlich), nicht selten von öffentlichen Ausspendungen abhängig, allem sonst vorzogen. Es ging ihnen nicht mehr um Größe und Freiheit ihres Vaterlandes, alle Errungenschaften (wie Rechtssicherheit) waren ohnehin Selbstverständlichkeiten, deren Wert man gar nicht mehr ermessen konnte. 

Es ging ihnen nicht mehr darum, sich "einen Namen" zu machen, der ihrem Land und ihrer Familie zur Ehre hätte gereichen können. Denn auch dieser Familienbegriff hatte sich längst verflüchtigt, und zwar ausgehend von einer Aufweichung der Ehe, die mit der heutigen Situation direkt verglichen werden kann. Was bleibt bei einer aufgelösten Ehe noch von einer Familie? Was bleibt bei einer Situation, in der sich die Ehepartner ablehnen, noch von Familienehre? Welcher Familie? Man lebte nur noch für sich und den angenehmen Augenblick, zahlte lieber immer höhere Steuern, ließ sich enteignen, als persönliche Kräfte einzusetzen.

Die Erziehung verweichlichte. Plötzlich war es auch bei Vätern modern und vorbildlich, sich in Gefühlsergüssen über ihren Nachwuchs zu ergehen, ihn zu hätscheln und zu liebkosen und, wo möglich, mit Geld zu überschütten. möglichst früh unabhängig zu machen. (S. u. a. die Sittengeschichte Carcopino's!) Und mit ungeheurer Wucht entstand eine gesellschaftliche Stellung der Frau, die heutigen feministischen Zielsetzungen um nichts nachsteht, ja sie übertrifft.²

Das Moralgefüge, das eine kriegsfähige, selbsterhaltungswillige Streitmacht braucht, verdunstete sozusagen, über die Jahrhunderte und immer rascher. Und wurde durch die Hereinnahme von Söldnern keinesfalls ersetzt. Denn damit kamen ganz andere Eigenschaften zum Tragen, unter anderem auch Brutalität, Barbarentum. Sie verlangten wiederum andere Feldherreneigenschaften. Die Charaktere die nun in leitenden Positionen gefragt waren waren durchweg ebensolcher brutalen Art. Anderen wären diese rohen Knechte, zu denen römische Soldaten wurden, gar nicht mehr gefolgt.***

Der Geist, die Bildung, der Edelmut schwand, wurde durch ganz andere Eigenschaften ersetzt, die sich überhaupt nicht mehr an Rom banden, bestenfalls ans Geld und an die Gewalt. Die Germanen**** etwa waren bekannt dafür, daß sie in bedrängten Lagen die Waffen streckten, um ihr Leben zu retten. Etwas, das ein Römer, der sein Land liebt, niemals gemacht hätte. Gerade an den Entscheidungspunkten einer Schlacht kam es aber oft genau darauf an, wer die Kriegsgeschichte betrachtet erkennt rasch, wie sich Schlachten oft genau durch solche Eigenschaften drehten.

Es war ein "brain drain" im eigentlichsten Sinne, der diesen Verfall der Wehrkraft von innen heraus bewirkte. Die besten und innovativsten Köpfe Roms kamen nicht mehr aus ihrer Mitte, aus ihrem Zentrum, sie kamen aus Syrien oder Randlagen anderer Art.***** Zwar blieben die alten Formen aufrecht, aber ihre Inhalte - auch in der Kunst - wurden immer blutleerer. Niemand hatte mehr neue Ideen, die schöpferische Kraft verglimmte. Man war zufrieden mit dem, was man "hatte". Und verlor es damit.




Teil 3 morgen) Maßnahmen, damit der Damm nicht bricht
 Römische Zustände anno 200



***Xenophon bespricht in seiner "Anabasis" sehr klug die Charaktere von Feldherren. Zeigt damit, daß gütige, herzlichere Feldherren ein massives Gehorsamsproblem gerade in Krisensituationen hatten. Zwar folgten ihnen die edleren Gemüter gerne und problemlos, aber diese waren nie mehr als 10 von 100, zumal bei Söldnertruppen. Der Rest neigte zu Verrat, Gier und Meuterei. Während brutale, ungeschlachte Feldherren solche Probleme mit Söldnern nie hatten.

****Pirenne weist darauf hin daß diese Demoralisierung der Römer, die den eindringenden Germanen als Wohlstand und Wohlergehen vorkam, auch auf die Eindringlinge besonders verführerische und demoralisierende Wirkung hatten. Sehr häufig paßten sich die Germanen dieser leichteren Lebensweise sehr rasch an, und die Geschichte der Vandalen in Nordafrika zeigt, wohin das binnen weniger Jahrzehnte führte. Sie waren also kein "Input" für Rom, sondern bald Teil der schwachen Masse. Vielfach (es sei als Seitenhieb gestattet) ist das, was wir heute von den Zuwanderern fordern und "Assimilation" nennen, genau dasselbe. Wir berauben uns, wie immer man das sonst bewerten mag, gerade jener sittlichen Kräfte, sofern vorhanden, die Reform möglich machen würden.

*****Das erinnert an die Lage Deutschlands im 18. Jhd. Ab dieser Zeit wurden so gut wie alle relevanten Entwicklungen von Personen und Kräften und Völkern aus Randlagen, vor allem im Osten, angestoßen. Ja, die letzte entscheidende Entwicklung kam von einem Randvolk aus dem Osten, das es (territorial, ursprunghaft gesehen) nicht einmal mehr gab - den Preußen. Einer wurzellosen Bevölkerung. Wenn man das Wesen der deutsch-preußischen Kriegstechnik als "Bewegung" definierte, wie Militärhistoriker es tun, so hat das genau diesen Hintergrund. Auch hier hat sich der Moralcodex völlig verändert, so wie sich häufig Wechsel der Militärtechnik in einem nächsten Schritt zur Ent-Moralisierung des Krieges ausdrückt. Die ritterliche Haltung, die der tragende, schöpferische Kern des Mittelalters war, wurde eliminiert, umdefiniert, Erfolg wurde zur simplen Technik.

²Die Geschichte des Mittelalters zeigt, daß sich eine gesellschaftliche Strukturierung, eine hierarchische Gliederung, die über die Zwei- bzw. Dreipoligkeit König/Fürst - Klerus - Bauern hinausging, über drei Faktoren herausbildete: Den vom allgemeinen Bauernstand zunehmend ausgegliederten Kriegsdienst, der den Freien bestimmte, aus dem sich u. a. der Adel entwickelte, und dem "Frieden", der einer neu aufkommenden Schichte, den Ministerialen, also den Beamten, die Verwaltungsdienste übernahmen, sowie dem Bürgertum, zunehmend neue Macht verschaffte - durch das Geld, das aus den neuen Betätigungsfeldern, die sich diese Schichte ehemaliger Bauern suchte, hervorging, zumalen dem Handel. Nur im Klerus, nur im Kriegsdienst, und später nur im Handel war es möglich, sich aus dem Allgemeinen, das eine Gleichberechtigung aller bedeutete, herauszuheben, um Vorrechte und damit Vorzugsstellung zu erlangen. Welch Zugang sich beim Adel vor allem durch das Erb- und Geburtsrecht, der einen Standesdünkel herausbildete, dem es der Kaufmannsstand mit der Zeit gleichtat, mit der Zeit erst verengte. Eine ähnliche Entwicklung nahm der Bildungsstand, der sich aus dem klerikalen Umkreis (Schulen!) entwickelte. 





***